Die Silberschmiedin (2. Teil)
Nietzsch auch die anderen Werkzeuge zurück in die Lederhüllen packen und sie nach der Hainstraße bringen zu lassen, dann verließ er mit Eva die Feinschmiede.
«Jetzt brauchen wir nur noch eine Balkenwaage. Am liebsten hätte ich ja eine Kölner, denn die sind am genauesten. Bis auf das Grän genau abzumessen ist schwierig und ohnehin nur für Apotheker und Edelschmiede notwendig. Aber eine echte Kölner Waage kostet ein Vermögen», sinnierte Eva.
Mattstedt lächelte fein und erwiderte: «Ihr wisst, ich habe keine Ahnung von Eurem Handwerk. Sagt mir, was ist ein Grän? Und was ein Lot?»
Eva blieb stehen und runzelte ein wenig die Stirn. Das tat sie immer, wenn sie nachdachte, und Sibylla hatte sie schon oft deswegen gescholten. «Du holst dir noch vor der Zeit Falten auf die Stirn, Kind», hatte die Mutter immer gesagt.
Doch Sibylla war weit weg, und Mattstedt hatte ihr eine Frage gestellt, die er als erfahrener Kaufmann selbstverständlich ohne die geringste Mühe selbst beantworten konnte. Eva fragte sich, warum er das tat. Wollte er überprüfen, ob sie ihr Handwerk beherrschte?
«Grän bezeichnet den Gehalt an reinem Gold oder reinem Silber», erklärte sie. «Und ein Lot sind sechzehn Grän. Man braucht eine Silberwaage, um den Feingehalt zu messen.»
«Nun, jetzt bin ich wesentlich klüger. Ich werde Euch nach Hause geleiten und hoffen, von Euch noch auf einen Becher gutes sächsisches Salbeibier eingeladen zu werden. Ich habe da nämlich eine Überraschung für Euch …»
«Gern», sagte Eva. Sie wollte noch etwas hinzufügen, doch dann fiel ihr nichts mehr ein, und sie gingen schweigend bis zum Haus in der Hainstraße.
Als Eva Andreas Mattstedt in den großen Wohnraum führte, erstarrte sie. Susanne saß mit einer Stickarbeit am Fenster und trug einen von Evas Stirnreifen.
Sie hatte den Ring, ein Geschenk ihres Vaters, in die Stirn gedrückt, damit er das Haar hielt, und auf die Haube verzichtet!
Das war ungeheuerlich. Nicht nur, dass sie den Ring, ohne zu fragen, entwendet hatte, nein, viel schwerer wog, dass sie die Haube, das Kennzeichen einer verheirateten, ehrbaren Frau, einfach weggelassen hatte und sich somit wieder als Jungfrau ausgab.
Eva schluckte. Einen Augenblick erwog sie, Susanne sofort und vor Andreas Mattstedt zur Rede zu stellen, doch dann besann sie sich, verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und fragte: «Ist noch etwas Bier im Haus? Wir haben einen Gast, den ich gern damit bewirten möchte.»
Susanne schüttelte den Kopf. «Den letzten Rest habe ich zum Mittag getrunken.»
Eva nickte, als hätte sie auf diese Nachricht gewartet. Es fiel ihr schwer, Susanne die Anweisungen zu geben, die sie einer gewöhnlichen Haushälterin geben würde. Stets, sie wusste es selbst, kamen sie im Ton einer Bitte hervor. Und oft genug überhörte Susanne einfach, was Eva ihr auftrug.
Jetzt – sie wusste selbst nicht, was sie dazu bewog – ging sie einen Schritt auf Susanne zu, blickte auf sie herab und sagte in einem Ton, den sie ihrer Mutter abgelauscht hatte: «Dann wirst du jetzt auf der Stelle in die nächste Schenke gehen und für Nachschub sorgen. Soviel ich weiß, gehören solche Dinge zu den Aufgaben einer Haushälterin. Oder irre ich mich?»
Kaum hatte Eva diese Worte ausgesprochen, hätte sie sie liebend gern zurückgenommen. Was war nur in sie gefahren? Sie tat, als wäre sie Sibylla! Lag es an Mattstedt? Wollte sie ihm beweisen, dass sie genauso gut war wie ihre Mutter?
Eva räusperte sich und versuchte die Worte mit einem Lächeln zu mildern.
Susanne maß sie mit einem langen Blick. Dann ließ sie den Stickrahmen zu Boden fallen, sodass er direkt vor Evas Füße fiel.
Eva machte keine Anstalten, die Stickerei aufzuheben. Schließlich erbarmte sich Mattstedt. Er reichte Susanne die Handarbeit und sagte: «Wegen mir müsst Ihr das Haus nicht verlassen.»
Doch Eva spürte, dass sie sich jetzt durchsetzen musste. Wenn sie jetzt nachgab, würde Susanne ihre Anweisungen nie mehr beachten. Schließlich stand Susanne auf, drehte sich mit einem Lächeln dem Kaufmann zu und fragte höflich: «Bevorzugt Ihr Schwarzbier, oder mögt Ihr das helle Bier lieber? Soll es mit Nelken oder Wacholder gewürzt sein?»
Eva atmete auf. Sie wollte keinen Streit mit Susanne. Befreit legte sie ihre Hand auf den Arm der Stiefschwester und sagte: «Am besten bringst du von jedem einen Krug. Und ich danke dir recht schön.»
Susanne nickte kalt, dann verließ sie das Wohnzimmer.
Eva wartete
Weitere Kostenlose Bücher