Die Silberschmiedin (2. Teil)
nur Aberglaube», murmelte Eva vor sich hin.
Aber auch Mönche und Nonnen mussten ihre Haare scheren, um zu zeigen, dass sie sich den Ordensgesetzen unterwarfen.
Unterwerfung? War es das, was David wollte? Wollte er sie demütigen?
Eva schüttelte den Kopf. Nein, David wollte mit ihr verschmelzen. Nichts sollte davon ablenken, nichts an ihr von anderen bewundert werden. Langsam beruhigte sich Eva. David wollte nur ihr Bestes, da war sie sich sicher.
Nach dem Nachtmahl, bei dem David kaum mit ihr gesprochen hatte, trat sie zu ihm und sagte nur: «Ja, ich will.»
Wortlos zog David sie in die Schlafkammern und riss das schwarze Tuch vom Spiegel. Dann holte er das Rasiermesser, gab Seife in eine Schüssel mit warmem Wasser, nahm die Schere.
«Zieh dich aus», befahl er. «Und stell dich vor den Spiegel.»
Eva erschrak. Dennoch folgte sie seinem Befehl.
«Küss mich, David», bat sie. «Sag, dass du mich liebst.»
«Nicht jetzt», sagte er, ohne sie anzusehen. Konzentriert begann er das Rasiermesser zu schleifen.
Eva fühlte sich sehr allein vor dem Spiegel.
Sie schloss die Augen. Nein, sie wollte nicht sehen, wie er ihr Haar abschnitt. Jedes Mal, wenn sie das Klappern der Schere hörte, den kurzen Ruck auf ihrer Kopfhaut spürte und dann das Fallen der Strähnen, zuckte sie zusammen.
Schließlich seifte David ihren Kopf ein und ließ das Rasiermesser über ihre Kopfhaut fahren. Sie biss die Zähne aufeinander, um nicht aufzuschreien.
«Sieh dich an», sagte er endlich.
Eva öffnete die Augen. Ganz langsam, weil sie sich fürchtete vor dem, was sie sehen würde.
Sie erblickte eine glatzköpfige Frau mit riesigen Augen.
«Du bist wunderschön», hörte sie David hinter sich flüstern. Seine Stimme klang rau dabei. Er nahm einen doppelarmigen Leuchter vom Nachtkästchen, entzündete die Lichter darauf und stellte sie vor den Spiegel.
Plötzlich veränderte sich das Bild.
Eva richtete sich auf, zog die Schultern zurück. Ihre Augen begannen zu leuchten. Die Lippen waren rot und prall.
Alles Kleinliche, Kleinmütige, Kleingläubige war wie von Zauberhand von ihr abgefallen.
Sie hob die Hand und strich sich damit langsam über den geschorenen Kopf.
Noch nie hatte sie sich stärker empfunden als in diesem Augenblick. Nichts, was gemeinhin für wichtig galt, zählte in diesem Augenblick. Die Schmiede, ihre Herkunft, der Ärger mit Susanne – nichts von alldem hatte etwas zu tun mit der Frau im Spiegel. Zum ersten Mal in ihrem Leben bekam Eva eine Ahnung vom Sein an sich. Und es machte sie aus tiefstem Herzen ruhig und glücklich.
Sie lächelte und drehte sich zu David um. «Ich bin schön», sagte sie. «Die Nacktheit steht mir gut zu Gesicht.»
David nickte. «Ja, Eva, das bist du. Ich wusste keinen anderen Weg, dir zu zeigen, wer du bist, als den, dir das zu nehmen, was gemeinhin unter Schönheit verstanden wird.»
Mit feierlichem Ernst nahm er ein Krüglein von der Truhe, zog den Korken heraus und goss sich Rosenöl in die Hände.
Dann salbte er Evas Kopf.
«Du bist die Gesalbte unter den Frauen», sagte er, «bist die Ausgezeichnete unter ihnen, bist die mit der göttlichen Gnade.» Und dann legte er Eva auf das Bett und versenkte sich in ihrer Blöße.
Seit einem halben Jahr war Eva nun schon «unter der Haube» und versteckte ihren kahlen Kopf unter einer Haube, wie sie die verheirateten Weiber trugen. 26 Wochen lang. 182-mal hatte Eva die Sonne auf- und untergehen sehen. 182-mal war sie zu David unter die Bettdecke geschlüpft, hatte neben ihm am Frühstückstisch gesessen, in der Werkstatt, war sechsmal mit ihm bei den Fraternitätstreffen gewesen. 182-mal hatte David sie gefragt, ob sie ihn liebe. 182-mal hatte Eva ja gesagt.
Inzwischen schrieb man den 26. März 1497, Evas 22. Geburtstag. David hatte ihr einen Strauß Schneeglöckchen geschenkt, aber das waren nicht die einzigen Blumen, die sie von ihm bekommen hatte. Ihr Leib war wieder einmal von blauen Flecken, Davids Blumen der Liebe, übersät. Doch das spürte sie eher, als dass sie es sah, denn der Spiegel war noch immer verhüllt. Als sie hinunter in die Werkstatt kam, merkte sie, dass niemandem heute zum Feiern zumute war.
Meister Faber nahm sie zur Seite: «Wir haben kein Geld mehr, um neue Rohstoffe zu kaufen», klagte er.
Eva zog die Augenbrauen hoch. «Kein Geld? Wieso?»
Vorwurfsvoll gab Meister Faber zurück: «Ihr habt Euch lange nicht um die Bücher gekümmert. Zeit wird es, dass Ihr unsere Außenstände
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