Die Silberschmiedin (2. Teil)
dir, deiner Mutter zu schreiben. Wir werden die Werkstatt auch ohne Sibyllas Hilfe erhalten.»
Am Abend saß David am Schreibtisch in der Wohnstube und blätterte in den Büchern. Eva saß neben ihm, doch ihre Gedanken drehten sich nur um die Frage, woher sie Geld nehmen sollten.
Sie schreckte auf, als David sie plötzlich ansprach: «Ich möchte, dass sich dein Stiefbruder eine andere Bleibe sucht. In diesem Haus ist kein Platz für ihn.»
«Warum nicht?», fragte Eva.
David sah aus dem Fenster. Der Tag war dabei, sich schlafen zu legen. «Ich traue ihm nicht», antwortete er. «Er hat sich ein Laboratorium im Keller eingerichtet, und ich habe keine Ahnung, was er dort treibt.»
Eva lachte erleichtert auf. «Aber David», entgegnete sie. «Adam studiert Medizin. Er braucht ein Laboratorium, um die Medikamentenherstellung zu lernen. Die Erlaubnis habe ich ihm lange vor unserer Hochzeit gegeben.»
David sah Eva an. «Und dazu benötigt er Silber und Blei?»
Eva zuckte mit den Achseln. «Ich weiß es nicht. Ich habe keine Ahnung, was er dort unten macht, weiß auch nicht, welche Spezereien in den Heilmitteln sind.»
«Hast du dich schon einmal gefragt, warum man ihn noch nie mit einem Mädchen gesehen hat?», fragte David weiter.
«Hast du darüber nachgedacht, was er mit den Zwillingen im Keller macht? Weißt du, dass er ihre Körper vermisst, ihre Brüste und Hinterbacken miteinander vergleicht? Dass er ihre Gedanken aufschreibt, ihre Wünsche und Träume? Die einzigen Weibsbilder, mit denen er sich einlässt, sind Kinder, Eva!»
«Er ist zu beschäftigt für eine Ehefrau. Wahrscheinlich möchte er erst seine Studien abschließen, bevor er sich verheiratet.»
«Adam ist ein Mann voller Saft und Kraft. Es ist nicht natürlich, dass einer in diesem Alter zu keinem Weibe geht. Noch nicht einmal die Schankmädchen und Dirnen interessieren ihn. Aber an den Zwillingen hantiert er wie unsereiner mit dem Gewindeschneider.»
«Nun, er ist halt ein guter Studiosus. Er ist auf der Suche nach der Seele des Menschen. Das weißt du doch.»
«Und was ist er für ein Mann?», fragte David zurück, doch Eva wusste darauf keine Antwort. Adam war ihr Bruder; als Mann hatte sie ihn nie gesehen.
David holte etwas aus seiner Tasche, das die Form eines Knochens hatte.
«Ein Knochen mit einem silbernen Überzug?» Eva erstarrte. «Ist es der Knochen eines Menschen?»
David zuckte mit den Schultern. «Wahrscheinlich. Daraus wollte er bestimmt keine Medikamente machen.»
Eva betrachtete den Knochen. Sie nahm ihn in die Hand, strich behutsam darüber, dann hielt sie ihn an ihren Unterarm. Der Knochen hatte genau dieselbe Länge. Übelkeit stieg in Eva auf. Ein Knochen mit einem Überzug aus Edelmetall. Eva starrte ihn an. In Frankfurt eine Maske aus Silber. In Leipzig eine Frau mit verbranntem Gesicht. Jetzt ein mit Silber überzogener Knochen. Und immer war Adam in der Nähe gewesen.
Kapitel 14
Am nächsten Morgen, noch vor dem Frühstück, ging Eva hinunter in Adams Laboratorium. Sie hatte die halbe Nacht wach gelegen und immer wieder den versilberten Knochen vor sich gesehen.
Eva glaubte nicht, dass ihr Bruder auch nur einer Fliege ein Bein ausreißen könnte, aber sie musste sich mit eigenen Augen davon überzeugen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als sie die Klinke des Kellerraumes herunterdrückte.
Das Öllicht in ihren Händen warf lange Schatten an die Wand, als sie das Laboratorium betrat. Es roch nach Feuchtigkeit und Vitriol, einer kristallklaren Flüssigkeit, mit deren Hilfe man unedle in edle Stoffe verwandeln konnte.
Eva schwenkte das Licht über den großen Labortisch. Sie sah Kristalle, die in Glasbehältern verschlossen waren, kleine Leinensäckchen mit gemahlenen Kräutern, Blei und Zinkpulver. Daneben ein Fläschchen mit Königswasser, wie es die Alchemisten benutzten, um den Stein des Weisen zu finden. Sie entdeckte Brennkolben, Mörser und Stößel, eine Apothekerwaage, jedoch keine menschlichen Knochen.
An einer Ecke des Tisches lag ein Buch. Eva stellte die Öllampe daneben und begann zu blättern. Sie hätte nicht geglaubt, dass ihr Herz noch schneller schlagen könnte, doch bei den Bildern in «Anatomia» brach ihr Herz in einen wilden Galopp aus.
Nackte Menschen waren darauf abgebildet, aber auch Gerippe, die die Lage jedes einzelnen Knochens anzeigten. Auf einer Seite waren Zeichnungen von Menschen, die mit Geschwüren übersät waren. Daneben stand etwas über Quecksilber, das die
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