Die Sirenen von Kalypso
Rache. Gleichzeitig aber war er sich dessen bewußt, daß er sie niemals verwirklichen konnte.
Dunkelheit. Eine weitere Zwischennacht. Am Himmel funkelten die vielen Lichter. Sonnen wie das Höllenfeuer oder das Weiße Zwerggestirn, wie Tajima Nimrod wußte. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt.
»Sie sind weit entfernt«, sagte er leise. »Unglaublich weit. Das Licht, das wir sehen, ist vor vielen Jahren entstanden. Das, was wir dort oben sehen, ist ein Teil der Vergangenheit.«
Ahiron blieb stehen und lachte fast lautlos. »Wie kann man Vergangenheit sehen, Tajima? Komm wieder zu dir, Soldat.«
»Es ist wahr.«
»Wenn du es sagst …«
Tajima zuckte mit den Schultern und folgte seinem Intimfreund durch die finstere Dämmerung der Zwischennacht. Die letzte Nacht für Ahiron, die vorletzte für Tajima. Morgen ging ein Transport von der Nordwest- zur Zentraldomäne, und von dort aus ein neuer Heereszug ins Streitland. Ahiron Susla marschierte mit diesem Zug und nahm an der neuen Schlacht teil. Tajimas Gesundheit war noch nicht vollkommen wiederhergestellt. Ihm waren zwei weitere Rekonvaleszenztage zugestanden worden, und an einem dieser Tage – er freute sich bereits darauf – verbrachte er die Restzeit mit der Geschichtenerzählerin.
In der Zwischennacht hatten sich die Blütenkelche der Dunkelrosen geöffnet. Ihr Duft war süß und herb und intensiv. Milchlampen verbreiteten einen verschwommenen Schein, der die Blumenanlagen des Rekonvaleszenzzentrums in einen unwirklichen Paradiesgarten verwandelte. Weiter voraus schritt eine andere Gruppe von Nachtwanderern. Ab und zu drang helles Lachen zu ihnen herüber, wenn der Magier, der am Purpurgewand zu erkennen war, einen Phantasiedämonen produzierte und ihn dann wieder auflöste, wenn er sich mit geiferndem Beißmaul auf die vermeintlich wehrlosen Opfer stürzen wollte. Tajima mochte solche Spielchen nicht und wandte sich ab. Sie schritten schließlich dem Grenzland der Domäne entgegen und betrachteten das im lauen Wind sich hin und her wiegende Korn der weiten Getreidefelder. Drei der sieben Monde von Leseitis stiegen über den fernen Horizont und warfen verschiedenfarbiges Licht auf das Land. Irgendwo hinter ihnen zirpte eine Streitlibelle. Das kehlige Knurren einer Xanthippe antwortete ihr.
»Eine friedliche Szenerie«, sagte Tajima.
»Zu friedlich für meinen Geschmack.« Ahirons Augen funkelten im Licht der Monde. »Ich freue mich auf morgen.«
Tajima trat wortlos an den Rand des Kornfelds heran und berührte mehrere Ähren. Er wollte sich schon wieder abwenden, als sich die Ähren unter seinen sanften Berührungen in Staub auflösten, der in einer Nebelwolke zu Boden rieselte. Erschrocken trat er zurück.
»Ahiron …«
Wind bewegte die Ähren. Es war wie eine Welle in einem Meer aus Gelb und Braun. Andere Ähren lösten sich auf. »Was bedeutet das, Ahiron …«
Sein Intimfreund trat an seine Seite und betrachtete das Getreide aus der Nähe. Er deutete schließlich auf einige dunkle Punkte an den Halmen. Als er sich schließlich wieder erhob, war sein Blick hart und kühl, der eines Soldaten und nicht eines Rekonvaleszenten.
»Ein Erntesaboteur«, flüsterte er. Seine Augen suchten die Getreidefelder ab. »Die Schnelle Fäule. Es muß eine besondere Abart sein, denn die Felder hier sind mit Magischen Heilsprüchen abgesichert. Eine Bakterienmutation sicher.«
»Aber wer kann ein Interesse daran haben …«
Tajima wußte die Antwort im gleichen Augenblick. Die Wyants natürlich. Niemand sonst. Dies war eindeutig eine Verletzung der Alten Regeln.
»Dort.« Mit einem Kopfnicken deutete Ahiron auf einen Schatten, der für einen Sekundenbruchteil im Kornfeld sichtbar geworden war. »Das muß er sein.«
Übergangslos erwachte der Kampfinstinkt in Tajima Nimrod.
»Komm.«
»Jemand muß Alarm geben. Vielleicht können die Propheten …«
Ahiron schüttelte den Kopf und arbeitete sich geduckt ins Getreidefeld hinein. »Nein. Nicht jetzt. Vielleicht ist noch nicht alles verseucht. Das Herbeirufen der Propheten kostet zuviel Zeit. Erst muß der Erntesaboteur ausgeschaltet werden.«
Ein vierter Mond ging auf und vereinigte seinen Glanz mit dem Glimmen seiner drei Brüder. Tajima sah den Schatten ein zweitesmal: eine entfernt humanoide Gestalt, ein Hybride, kein Mensch.
»Hast du es gesehen?« hauchte er.
Ahiron Susla war eine Schlange in Menschengestalt. Lautlos legte er Meter um Meter zurück, bog die Ähren hier, wenn der Wind aus der
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