Die Sklavin des Sultans: Roman (German Edition)
Bewusstsein, nur um Haaresbreite dem sicheren Tod entronnen zu sein, ihre nie endende Schufterei wieder auf. Sie leben, um zu arbeiten und eines Tages zu sterben. Mehr kann man am Ende nicht erwarten.
ZWEI
F riede sei mit Euch, Sidi.«
Sidi Kabour ist ein schlanker, älterer Mann mit einem makellos weißen Bart, sorgfältig manikürten Händen und tadellosen Manieren. Kein Mensch käme auf die Idee, dass er der größte Giftmischer in ganz Marokko ist. Er legt den Kopf schief und lächelt mir zu, ausdruckslos höflich. Die neutrale Förmlichkeit seiner Begrüßung soll den Eindruck erwecken, als wäre er mir noch nie zuvor begegnet, als wäre ich nur ein zufälliger Kunde, der über seine versteckte Bude am Ende des Henna- souq gestolpert ist, angezogen vom Duft des Räucherwerks, von Safran aus Taliouine und verbotenen Substanzen. In Wahrheit kennt er mich gut: Meine Herrin nimmt seine Dienste häufig in Anspruch.
Sogleich bin ich alarmiert. Ich sehe auf ihn herab, denn meine lächerlichen Holzschuhe machen mich noch größer, als ich bereits bin. »Und mit Euch, fkih .« Nichts wurde verraten.
Sein linkes Auge zuckt, und ich sehe an ihm vorbei. Im hinteren Teil des Ladens steht ein Mann. Als mein Blick zu dem Verkäufer zurückschweift, spitzt er die Lippen. Vorsicht!
»Was für ein Regen!« Ich versuche es mit gespielter Heiterkeit.
»Meine Frau, Gott schütze sie, hat gestern Mittag alle Teppiche aus dem Empfangszimmer zum Lüften auf die Terrasse gehängt.«
»Und dann vergessen, sie wieder hereinzuholen?«
Sidi Kabour zuckt hilflos mit den Achseln. »Ihre Mutter war krank. Sie hat die Nacht an ihrem Bett verbracht und sich erst nach dem ersten Gebet an die Teppiche erinnert. Meine Großmutter hat sie mir vererbt, gewebt aus guter, fester Wolle, aber die Farben sind ausgelaufen.« Er verzieht das Gesicht, doch ich weiß, diese Konversation ist nur für die Ohren des neugierigen Kunden bestimmt. Als er die Kräuter aufzählt, die er für seine Schwiegermutter gemischt hat, und erzählt, wie sie sich auf deren Verstopfung ausgewirkt haben, unterbricht er.
»Hast du auch Wolfszwiebeln?«
Mir sträuben sich die Nackenhaare. Die Wolfszwiebel ist eine Pflanze mit sehr widersprüchlichen Eigenschaften. Wohltuende Substanzen aus der Knolle können Blutungen stillen und die Heilung von Wunden beschleunigen, wie ich selbst nur allzu gut weiß. Doch wenn man die Blätter auskocht, erhält man ein tödliches Gift. Die Pflanze ist so selten, dass sie auf dem Markt außerordentlich hohe Preise erzielt. Der Akzent des Kunden verrät, dass er aus der Gegend irgendwo zwischen dem Mittleren Atlas und der Großen Wüste stammt, wo die Wolfszwiebel am weitesten verbreitet ist, und als mein Blick ihn streift, fällt mir auf, dass er runde babouches trägt, die hier oben im Norden ungewöhnlich sind. Er muss wissen, dass man im souq von Tafraout weit weniger dafür bezahlt. Mit anderen Worten, für diesen Mann oder den Herrn, dem er dient, spielt Geld keine Rolle, und der Bedarf nach der Pflanze muss groß sein. Bleibt nur die Frage: Braucht er sie zum Heilen oder zum Töten?
Sidi Kabour verschwindet in den hinteren Teil seiner Bude. Ich spüre den Blick des Mannes auf mir, werfe ihm ein nichts sagendes Lächeln zu und erschrecke angesichts der Intensität seiner Augen. Höflinge werden oft beneidet, Lustknaben und Mohren verachtet, daher schreibe ich sie derartigen Vorurteilen zu. » Salaam alaikum . Friede sei mit Euch, Sidi.«
»Und mit dir.«
Unter dem Vorwand, die verfluchten Überschuhe auszuziehen, schiebe ich den Zettel mit der Liste von benötigten Substanzen unter eine Flasche mit der bevorzugten Moschussorte der Herrscherin Zidana, wo Sidi Kabour ihn finden wird. Wir haben dieses System schon häufig benutzt: Man kann nicht vorsichtig genug sein, wenn man mit Geheimnissen zu tun hat. Die Überschuhe verstaue ich in einer Nische, wo ich sie später leicht wiederfinden kann, richte mich auf und klopfe dann unter großem Gehabe den Regen von meinem Burnus, damit der Fremde sieht, dass meine Hände leer sind.
Seine Augen ruhen noch immer auf mir; bei diesem Blick bekomme ich eine Gänsehaut. Bin ich ihm am Hof begegnet? Seine Gesichtszüge kommen mir irgendwie vertraut vor. Unter der roten Strickmütze spannt sich die Haut über den Knochen. Man könnte ihn als attraktiv bezeichnen, wäre da nicht eine gewisse Gehässigkeit um den Mund. Kein Sklavenring im Ohr. Ein Freigelassener? Ein eigenständiger Händler?
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