Die Söhne der Wölfin
löste sie sich aus seinen Armen und wandte sich Faustulus zu.
»Der Barde Ulsna, mein Freund «, sagte sie, wobei sie das letzte Wort ein wenig stärker betonte, nicht auf feindselige, sondern auf neckende Weise. »Ulsna, dies ist Faustulus, der einzige Mann, der mich als seine Ehefrau möchte.«
Ulsna legte eine Hand auf die Brust. »Sei gegrüßt, Faustulus«, sagte er ernst. »Du bist ein mutiger Mann.«
»Ich bin ein Mann, der seine Familie zusammenhält«, entgegnete Faustulus deutlich.
»Dann beneide ich dich um so mehr. Ich hatte nie eine Familie, und ich werde auch nie eine haben. Oder«, schloß der Barde und lächelte schwach, »eine Frau.«
Etwas besänftigt meinte Faustulus: »Dann willkommen in meinem Heim.« Aber er nahm sich vor, auf der Hut zu bleiben.
Ilian bereits in vielen Rollen erlebt zu haben machte es für Ulsna nicht weniger seltsam, sie als Frau und Mutter zu sehen. Das Häuschen mit seinem Boden aus gestampfter Erde, das ganze graubraune, winzige Dorf mit seinen Bauern, der Mann, der sich von ihr bedienen ließ und sie doch wie einen seltenen Schatz betrachtete, und die sich gar nicht so ähnelnden Zwillinge, die am Abend lärmend hereinpolterten, all das erschien ihm als der merkwürdigste Kokon, in den sie sich zu einer neuen Verpuppung eingesponnen hatte, noch fremdartiger als ihre Existenz als Nesmuts unterwürfige Sklavin. Er fragte sich, ob es dem Mann Faustulus bewußt war, in welcher Gefahr er sich befand, und beschloß, ihm beizeiten einen Hinweis zu geben.
Die Kinder ähnelten ihr nur in Bruchteilen, die jemand genommen und zu einem neuen Bild zusammengesetzt hatte; in dem Schnitt der Augen, in der Gesichtsform des einen, dem Mund des anderen, in den Händen und ein wenig in der Art, zu lachen. Es fiel ihm auf, daß sie ihn beide genauso mißtrauisch musterten wie der Mann, und er sagte auf griechisch zu Ilian:
»Wie es scheint, hast du dein Ziel erreicht und ihre Zuneigung gewonnen. Sie sind bereits eifersüchtig.«
Sie schüttelte den Kopf und erwiderte in der Sprache des Nils, was wohl hieß, daß es hier jemanden gab, der etwas Griechisch verstehen konnte: »Daran liegt es nicht. Ich hatte vergessen, wie sehr die Latiner uns Rasna mißtrauen. Nimm es nicht persönlich, es ist ein allgemeines Vorurteil.«
Während sie die abendliche Mahlzeit zubereitete, tat Ulsna sein Möglichstes als Barde, um sein Publikum zu gewinnen. Seit er seine Heimat wieder betreten und, wie mit Ilian vereinbart, begonnen hatte, durch die zwölf Städte und die umliegenden Dörfer der Latiner und Sabiner zu ziehen, hatte er seine alten Kenntnisse der Sprache der latinischen Bauern wieder aufpolieren müssen, und dafür war er jetzt dankbar. Es gab ohnehin zwischenzeitlich überraschend viele Latiner im Zwölfstädtegebiet; mutmaßlich hatte sie der Hunger aus ihren eigenen Landstrichen hierher getrieben. Allen gemeinsam war, daß sie die Lieder der Rasna wie auch die griechischen und ägyptischen Weisen, die er in den letzten Jahren erlernt hatte, noch mehr würdigten, wenn er ihnen den Inhalt vorher in ihrem eigenen Idiom erklärte. Die hier waren nicht anders. Er hatte sich Ilians Söhne nicht als kleine Latiner vorgestellt, sondern als Rasna, was im nachhinein betrachtet natürlich töricht war, wenn man bedachte, wo sie aufwuchsen.
»Bei diesem Lied geht es um einen langen Krieg und einen großen Sieg«, begann er, und der größere der Jungen, der etwas gelangweilt mit den Füßen scharrte, während er auf sein Essen wartete, setzte sich gerade auf. »Ihr müßt wissen, um das Land Ägypten kämpften zwei fremde Könige, der von Kusch und der von Assur, und beide hielten einen Teil des Landes besetzt. Außerdem gab es viele Fürsten, die sich ebenfalls gern die Krone aufsetzten wollten, und einer von ihnen war der Prinz von Sais.«
Er wartete, ob von Ilian irgendwelche Einwände kamen, doch sie zerschnitt weiterhin das Gemüse.
»Nachdem er es jahrelang vergeblich versucht hatte, begab es sich, daß die Götter ihm jemanden zu Hilfe schickten.«
»Einen großen Krieger?« fragte einer der Zwillinge mit weit aufgerissenen Augen.
Ulsna hüstelte. »Nein. Eine Frau mit der Klugheit und der Unerbittlichkeit einer Göttin. Da es sich erwiesen hatte, daß der Prinz unmöglich gegen seine Rivalen und die beiden fremden Könige gleichzeitig kämpfen konnte, erteilte sie ihm folgenden Rat: Verschwöre dich mit den anderen Fürsten gegen den König von Assur, denn sie glauben, er sei weit
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