Die Söhne der Wölfin
sich wie ein Mann benahm und ihr etwas verbot. »Das möchte ich nicht.«
Larentia hielt einen Moment lang mit dem Rühren inne, und ihre Schultern strafften sich kaum merklich. Dann entspannte sie sich und lachte.
»Glaubst du etwa auch an meine Verwandlungskünste, Faustulus?«
»Ich habe gesehen, wie du dich verwandelt hast«, entgegnete der Vater sehr ernst, und sie schwieg.
Romulus blieb der Mund offen. Er schaute zu Remus; bei solchen Gelegenheiten tat es gut, einen Zwilling zu haben. Sie tauschten einen ratlosen und sehr beunruhigten Blick. Sollte all die Neckerei der anderen Kinder doch einen wahren Kern haben?
»Gut«, erklärte Larentia nach einer Weile, in der sich ein erstickendes Schweigen über die Familie gesenkt hatte, »dann werde ich mein Glück eben von hier aus versuchen, und ihr könnt mich alle begleiten, um aufzupassen, daß ich mich nicht noch einmal verwandle.«
Der Vater räusperte sich. »Dein Glück?«
»Ich habe in Ägypten gelernt, wie man den Lauf des Mondes und der Sterne vermißt, Faustulus«, gab sie zurück. »Von einem Hügel aus geht es einfacher, deswegen wollte ich durch den Wald hoch zu deinem alten Gehöft. Das ist alles.«
Er wirkte erleichtert, sagte jedoch nicht, daß sie nun doch in den Wald gehen könne. Am Ende begleiteten sie Larentia tatsächlich alle zum Flußufer. Romulus kam nur deswegen mit, weil er ihr nicht glaubte, daß man irgend etwas an Mond und Sternen messen könne.
»Ist der Mond nicht eine Göttin?«
»Er ist eines ihrer Gesichter. Und es sind die Götter, die uns diese Meisterschaft geschenkt haben«, erläuterte sie, während sie einen metallenen Gegenstand hervorholte, der aus zwei Stäben und einem Halbkreis bestand. Sie stellte ihn nach einigem Suchen auf den abgeriebenen Stein, auf dem die Frauen bei der Wäsche ihre größten Tücher ausbreiteten, und kniete sich davor. In dem hellen Schein des Vollmonds sah das gelbe Gewand, das sie trug, weiß aus und ihr braunes Haar schwarz, als es wie ein Stück Nachthimmel ihren Rücken herabfiel, denn sie trug es heute abend offen wie ein junges Mädchen.
»Die Ägypter sind so gut darin, daß sie berechnen können, an welchem Tag im Jahr Sonne oder Mond an welchem Fleck stehen, wenn sie einen Tempel bauen.«
»Kannst du das auch?« fragte Remus ehrfürchtig.
»Nein, so viel hat man mich dort nicht gelehrt. Aber genügend«, sie schaute direkt zu Romulus, »um ein paar Leute zu beeindrucken.«
Er hatte das Wort vorher noch nie gehört, doch er verstand schon, worauf sie hinauswollte. Be-ein-drucken. Ihre so sorgfältige Aussprache nachahmend, gab er zurück: »Ich bin nicht be-ein-druckt.«
»Lügner«, sagte sie ruhig und holte aus dem Bündel, in dem ihr Instrument gesteckt hatte, auch noch eine Rolle hervor, die sie ausbreitete. Den Stoff, aus dem die Rolle bestand, hatte Romulus noch nie zuvor gesehen, wenn es denn überhaupt ein Stoff war. Er war sehr dünn und knisterte, als sie mit der Handfläche glättend über ihn fuhr und dann mit einem Kohlestückchen einige Zeichen daraufsetzte. Hin und wieder blickte sie auf das Metallinstrument, und dann wieder zum Himmel. Wider Willen erinnerte sich Romulus daran, daß Numa sie in seiner Geschichte als Magierin bezeichnet hatte.
»Kann man damit die Zukunft vorhersagen?« fragte er widerwillig.
»Einen Teil davon. In zwei Tagen wird der Mond sich verfinstern.« Sie nickte Romulus zu. »Die Göttin wird ihr Gesicht für kurze Zeit von der Welt abwenden, weil ich sie darum gebeten habe, um meine Söhne zu beeindrucken, und sie wird es zu dem Zeitpunkt tun, wenn ich zu ihr bete, nicht früher und nicht später.«
Das glaube ich dir nicht, wollte Romulus erwidern, doch er schluckte es im letzten Moment hinunter. Wenn es ihr tatsächlich gelang, würde er so dumm dastehen wie Numas kleine Schwester, als die anderen Kinder sie auf die Suche nach unsichtbaren Enten geschickt hatten.
»Und das hast du in Äg -, Ägypten gelernt?« staunte Remus. »Wie man mit den Göttern spricht und die Zukunft vorhersagt?«
»Nun, eine bestimmte Art und Weise. Die Ägypter und die Assyrer halten sie für sicherer als die Leber von Vögeln. Natürlich«, fügte sie mit einem Unterton von Spott hinzu, »haben selbst die Ägypter ihre Schwächen. Sie wissen nichts von der Blitzkunde.«
Das zumindest brauchte sie nicht zu erklären. Jeder wußte, daß die Tusci über die Macht verfügten, Blitze zu deuten, und einige von ihnen konnten sie sogar lenken.
»Das
Weitere Kostenlose Bücher