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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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fort und weniger gefährlich, und sorge dafür, daß sie dem König von Kusch wieder die Doppelkrone antragen, denn mit ihm sind sie vertraut und ihn glauben sie lenken zu können. Dann, wenn der König von Kusch der Einladung folgt und all die Fürsten sich ihm verpflichtet haben, unterrichte den König von Assur davon. Denn die Wahrheit ist, daß niemand Verrat unerbittlicher und grausamer rächt als die Assyrer.«
    »Aber das… das ist unehrlich!« protestierte der größere Junge. »Unehrenhaft und gemein!«
    »Hat es geklappt?« erkundigte sich der kleinere der Brüder und schaute dabei nicht zu Ulsna, sondern direkt zu seiner Mutter, die, mit dem Rücken zu ihm gewandt, das zerteilte Gemüse in den Topf warf, den sie über dem Feuer aufgehängt hatte.
    Bei unserer Herrin Turan, dachte Ulsna. Er hat begriffen, von wem ich spreche . Die Botschaft war eigentlich für Faustulus bestimmt gewesen, weniger für die Jungen, die nur eine spannende Geschichte hören sollten. Offenbar hatte der Kleine Ilians rasche Auffassungsgabe geerbt.
    »Das hat es«, gab er zurück. »Assurbanipal kam in Macht und Zorn, und es war schrecklich. Er zermalmte die Armee des Königs von Kusch, denn er wußte genau, wo er sie finden würde. Er richtete jeden einzelnen der Fürsten hin, die sich gegen ihn verschworen hatten, und forderte, daß ihre Kadaver nicht einbalsamiert werden durften.«
    »Was heißt das, einbalsamieren?« fragte der Junge wieder und handelte sich einen Rippenstoß von seinem größeren Bruder ein, der offensichtlich wollte, daß die Geschichte weitererzählt würde, ohne auf solche Kleinigkeiten wie unbekannte Wörter einzugehen. Ehe Ulsna dazu kam, etwas zu erwidern, entgegnete Ilian, ohne von ihrem Topf aufzublicken: »Man entzieht einer Leiche die Feuchtigkeit durch Salz und ersetzt sie durch Harz und Pech. Außerdem wickelt man sie von Kopf bis Fuß in Leinen.«
    Nun machten beide Brüder den Eindruck, als sei ihnen ein wenig übel. Ulsna räusperte sich. Es war unmöglich, den Kindern klarzumachen, was dies den Ägyptern bedeutete. Rasna und Latinern war gemeinsam, daß sie ihre Toten verbrannten. Aber für die Ägypter, die ihre Toten mit aufwendigen Prozeduren, die weit über Ilians kurze Beschreibung hinausgingen, für die Ewigkeit erhielten, stellte die Behandlung der Leichen durch die Assyrer ein schlimmeres Urteil dar als der eigentliche Tod. Sie glaubten, daß es die Seelen der Hingerichteten in alle Ewigkeit für die Götter unauffindbar machte.
    Ulsna holte tief Atem und fuhr fort. »Danach wagte es niemand mehr, sich gegen Assurbanipal zu verschwören. Und Assurbanipal setzte den Fürsten von Sais und seinen Sohn als Unterkönige ein, als Belohnung für ihre Treue und rechtzeitige Warnung, auf daß sie an seiner Stelle regierten.«
    Schweigen folgte, während er seine Harfe stimmte und an die Leichen dachte, die sie noch auf ihrem Weg nach Theben gesehen hatten, obwohl das Blutgericht der Assyrer da schon Monate zurücklag, Monate, in denen sich Ilian von ihrem eigenen Strafgericht erholte: von der Auspeitschung, die Nesmut am Tag vor ihrer Freilassung noch hatte durchführen lassen. Doch er legte keinen Wert darauf, diese Erinnerung mit seinen Zuhörern zu teilen. Statt dessen begann er mit dem Lied, das er über den Triumph des Hauses Sais für Psammetich gedichtet hatte, als Dank für seine eigene Freilassung; ein Lied, das verfaßt worden war, ehe ihm die Folgen dieses Triumphes vor Augen geführt worden waren. In Sais selbst hatte es sich, soweit es den Krieg betraf, für die Angehörigen des königlichen Haushalts sicher leben lassen, und es war aus der Entfernung leicht gewesen, den Erfolg von Ilians Plan zu bewundern. Schließlich hatte er keinen einzigen der hingerichteten Fürsten gekannt.
    Er ließ seine Stimme anschwellen und dachte, daß Barden auf ihre eigene Art logen und doch die Wahrheit erzählten. Faustulus schien inzwischen ebenfalls begriffen zu haben; er biß sich auf die Lippen und beobachtete Ilian dabei, wie sie jedem eine Holzschüssel mit der Suppe, die sie gekocht hatte, hinstellte. Der kleinere Junge beobachtete sie ebenfalls, während der größere begeistert nach seiner Schüssel griff und im übrigen mit schmeichelhafter Aufmerksamkeit zuhörte. Ilian selbst kniete sich, als sie mit dem Austeilen fertig war, neben den Holzschemel, auf dem Faustulus saß, in der Art, wie es ihnen in Ägypten beigebracht worden war. Ihr Gesicht blieb ausdruckslos. Ulsna hatte sie seit

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