Die Söhne der Wölfin
damals noch nie gefragt, ob sie ihren Erfolg bedauerte; zuerst nicht, weil er vollauf damit beschäftigt war, ihr dabei zu helfen, die tiefen Wunden auf ihrem Rücken zu überleben, und seine eigenen Schuldgefühle deswegen ihn fast umbrachten. Der Herrin Nesmut zumindest weinte er keine Träne nach.
»Höre, Barde«, sagte Faustulus unvermittelt, als er seinen Vortrag beendet hatte, »laß uns nach draußen gehen, um ein wenig zu reden.«
Draußen war es inzwischen dunkel, und er stolperte ein paarmal auf dem unebenen, ungepflasterten Weg. Jemand sollte den Latinern zeigen, wie man Straßen anlegt, dachte Ulsna abwesend. Er fragte sich, ob Faustulus plante, ihn anzugreifen. Nicht, daß er sich deswegen Sorgen machte. Diese Zeiten waren vorbei. Er hatte in den vergangenen Jahren gelernt, auf mancherlei Art und Weise zu kämpfen, auch wenn er es immer noch vorzog, seine Hände nicht in Gefahr zu bringen.
»Du warst also mit ihr in Ägypten«, sagte Faustulus ohne weitere Einleitung.
»So ist es.«
»Wenn sie da mit einem Fürsten zusammen war«, stieß der Latiner hervor, »warum ist sie dann wieder hier?«
Ulsna wußte nicht, ob er gerührt oder belustigt sein sollte. Offenbar hatte Faustulus von der Warnung, die seine Geschichte darstellte, nur verstanden, daß Ilian Zeit mit einem anderen Mann verbracht hatte, der ihn an Rang und Reichtum weit übertraf. Dann überraschte ihn der Bauer, denn er fuhr fort: »Er ist doch noch in ihr, der Wunsch nach Macht, und wenn sie die in Ägypten hatte, warum ist sie dann zurückgekommen?«
»Ganz so lagen die Umstände nicht«, erwiderte Ulsna behutsam. »Sie wurde aufgrund einiger Verwicklungen die Vertraute des jungen Prinzen, aber seine Ehefrau hätte sie nie sein können, noch wäre ihr jemals wirkliche Macht übertragen worden. Das wußte sie, und sollte sie je daran gezweifelt haben, dann hat man sie auf nachdrückliche Art eines Besseren belehrt.«
Die Erinnerung an Ilians Auspeitschung hatte ihre Macht über ihn noch nicht verloren, und er spürte, wie sich seine Nägel in die Handballen gruben. Faustulus schien zu wissen, worauf er sich bezog, denn er knurrte, er hoffe, das Weib, das Larentia diese Narben zugefügt habe, sei qualvoll gestorben.
»Das ist sie, zwei Jahre später«, bestätigte Ulsna. Und weil er herausfinden wollte, wie selbstbeherrscht Faustulus war, fügte er hinzu: »Du kannst dich allerdings an demjenigen schadlos halten, der die Peitsche geführt hat. Das war ich.«
»Was?« brüllte Faustulus, und jemand in einer der umliegenden Hütten rief zurück, er möge doch ruhig sein.
»Die Herrin Nesmut haßte Ilian zu diesem Zeitpunkt mehr als irgend jemanden sonst, und sie war eine Künstlerin im Hassen. Sie hätte jedem ihrer Sklaven befehlen können, Ilian auszupeitschen, und sie hätte es auch selbst tun können. Statt dessen ließ sie mich rufen und drohte mir, Ilian auf der Stelle hinrichten zu lassen, wenn ich sie nicht jetzt sofort, in ihrer Gegenwart, so lange mit der Peitsche schlagen würde, wie sie es wünsche. Ich habe bis heute keine Zweifel daran, daß sie im Fall meiner Weigerung ihre Drohung wahr gemacht hätte. Sie besaß das Recht dazu, denn das Leben eines Sklaven ist nichts in Ägypten, und der einzige, der sie daran hätte hindern können, ihr Sohn, befand sich an diesem Tag noch nicht in der Stadt; er kam erst am nächsten Tag zurück.«
Der sonnendurchflutete Raum mit seinen hellen Fliesen, Nesmut mit ihren beiden Dienern, die Ilian festhielten, und das Leder der Peitsche in seiner Hand, das bereits schweißdurchtränkt war, ehe er zum ersten Mal zuschlug. Das schuldbewußte Entsetzen, als Nesmut ihm genußvoll erklärte, was sie wollte, weil er sich sofort an Delphi erinnerte und an das, was er sich dort gewünscht hatte. Er vertrieb die Bilder, so gut er konnte, und wartete darauf, daß Faustulus ihn einen Feigling nannte und seinerseits zuschlug. Vermutlich hätte sich der Latiner an seiner Stelle empört geweigert und wäre bei dem Versuch, Ilian zu retten, den Heldentod gestorben, gleich nachdem er ihre Hinrichtung hätte miterleben dürfen.
»Und doch nennt sie dich ihren Freund«, murmelte Faustulus fassungslos.
»Es gibt nichts«, sagte Ulsna eindringlich, »was ich nicht für Ilian täte. Sie weiß das. Wenn sie zum Beispiel von jemandem gegen ihren Willen festgehalten würde, dann würde ich dem Betreffenden Schlimmeres antun als ihr damals. Allerdings glaube ich nicht, daß es notwendig wäre. Sie ist
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