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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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leicht. Je weiter der Abend fortschritt, desto mehr neigten einzelne Gäste dazu, ihre Begeisterung über seinen Vortrag auf recht eigenwillige Art zum Ausdruck zu bringen: indem sie ihn zu sich winkten, auf den Mund küßten oder in den Hintern kniffen. Am gefährlichsten war es, wenn sie mit ihren Händen in die Nähe seiner Brüste kamen, die zwar nicht sehr groß, aber doch ein wenig mehr geformt waren, als für einen Jungen erklärlich, zumal einem mageren Jungen wie ihm.
    Die Zärtlichkeiten erweckten bei ihm eine Mischung aus Abscheu und Erregung. Manchmal hatte er das Bedürfnis, sich den Mund abzuwischen; dann wieder war er versucht, selbst etwas zu tun, bis er sich erneut bewußt wurde, daß es keinen Sinn hatte. Niemand würde jemanden wie ihn wollen.
    Arion gehörte zu denen, die ihn überhaupt nicht berührten, bis auf ein gelegentliches Schulterklopfen. Es war seltsam, Arion in dieser Umgebung zu sehen statt auf seinem Schiff, oder in der Schenke, in der sie sich zuerst begegnet waren. Damals war Arion unglücklich und betrunken gewesen; heute war er bester Laune, und seine Trunkenheit äußerte sich darin, daß er in die Gesänge einfiel und seinen Freunden unglaubliche Geschichten über seine Reise auftischte. Ulsna biß sich auf die Zunge, als Arion von Seeungeheuern sprach, die Ilian durch Beschwörungen besänftigt habe, bis auf eines, dem er selbst den Garaus gemacht habe. Einige der Gäste waren mit Arion gesegelt, doch sie widersprachen nicht; statt dessen versuchten sie ihn durch weiteres Seemannsgarn noch zu übertreffen. Seeleute, dachte Ulsna und fühlte sein Unbehagen in einer Mischung aus Rührung und Belustigung schmelzen. Sie sind doch in allen Ländern gleich.
    Irgendwann zog ihn Arion beiseite, und Ulsna klopfte das Herz, doch Arion teilte ihm lediglich mit, daß die Oberen der Stadt wegen der Gründung einer weiteren Zweigsiedlung eine Gesandtschaft zum delphischen Orakel schicken wollten, der sich Ilian anschließen konnte.
    »Es geht ihr wieder besser, wie ich höre.« Ulsna nickte. Leutselig fuhr Arion fort: »Und du, kleiner Barde, willst du sie noch immer begleiten?«
    Einen Herzschlag lang zögerte Ulsna, dann nickte er wieder. Schließlich, dachte er, gibt es nichts, was mich hier hält.
    Als er in Proknes Haus zurückkehrte, traf er gerade noch rechtzeitig ein, um zu erleben, wie Ilian Proknes Zimmer verließ. Er beobachtete sie und konnte zum ersten Mal die Veränderungen benennen, die ihm in der letzten Zeit ins Bewußtsein gedrungen waren. Ihr Gang war früher immer ein rasches Schreiten gewesen; nun hielt sie sich auf die gleiche Weise wie Prokne, was einen ausgeprägten Hüftschwung beim Gehen einschloß. Früher hatte sie beim Sitzen dazu geneigt, die Arme zu kreuzen oder sogar die Knie hochzuziehen und die Arme um sie zu legen, wenngleich das mit den Wochen auf dem engen Schiff zu tun haben mochte. Mittlerweile lehnte sie sich höchstens ein wenig zurück, wenn sie sich niederließ, und die Arme ruhten zu beiden Seiten ihres Körpers, wenn sie nicht etwas mit ihren Händen tat, wie Fäden um sie zu wickeln oder mit einer der Farben, mit den Prokne sich das Gesicht verzierte, den wertvollen ägyptischen Papyrus zu bemalen, den er auf Ilians Bitte im Austausch gegen einen ihrer Ohrringe am Hafen für sie besorgt hatte.
    Jetzt griff sie nach dem Kamm, und Ulsna sagte aus einem plötzlichen Impuls heraus: »Laß mich.«
    Er wußte selbst nicht, warum er sie berühren wollte, es sei denn, um sich zu vergewissern, daß sie noch da war, seine Reisegefährtin, das Mädchen, das unter dem gestirnten Himmel mit Arion neben ihm gelegen war.
    Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu, dann kniete sie neben ihm nieder und reichte ihm den Kamm. Ihr Haar war immer noch kurz, aber es sah nicht mehr so aus, als habe man es gewaltsam gestutzt. Es fühlte sich seidig und gepflegt an, nicht verklebt von Salz und Wind. Er ließ es zwischen seinen Fingern durchgleiten und schnupperte den schweren Duft, den Prokne benutzte.
    »Du riechst nach ihr.«
    »Ich lerne«, erwiderte sie einfach, und bog den Kopf ein wenig mehr zurück. »Es ist erstaunlich, aber ich glaube nicht, daß ich mein Leben so verbringen könnte. Wie geht es Arion?«
    Ulsna drückte die Zähne des Kamms ein wenig stärker gegen ihren Schädel. »Es geht ihm gut. Er hat nach dir gefragt. Er hat eine Reisegruppe für uns gefunden.«
    »Du weißt, daß du nicht mit mir zu kommen brauchst.«
    Unvermutet konnte er die Gefühle, die

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