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Die Söhne der Wölfin

Titel: Die Söhne der Wölfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tanja Kinkel
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großzügige Ader in Prokne auch geweckt worden war, so weit reichte sie gewiß nicht. »Glück, ein langes Leben und der Segen aller Götter für dich.«
    »Ist das ein Wunsch oder eine Prophezeiung?« neckte er sie, während sich im Hintergrund einer der Gesandten der Stadt ungeduldig räusperte.
    »Beides«, erwiderte sie, und die gemessene Miene, die sie wohl für ihre neuen Begleiter aufgesetzt hatte, machte einem unbekümmerten Lächeln Platz, wie er es an ihr so kaum kannte. »Vorausgesetzt, du wirst weiterhin Fremden in fernen Häfen zu Hilfe eilen.«
    Wenn er sich recht erinnerte, war er nicht geeilt, sondern mehr oder weniger gezogen worden, aber er widersprach ihr nicht. Es wurde ihm bewußt, daß die Sonne bald hoch am Himmel stehen würde und es eine Menge Dinge zu erledigen galt. Es gab bereits Leute, die ihn fragten, wann er seine nächste Fahrt unternehmen werde und ob sie sich beteiligen könnten.
    »Leb wohl, Ilian aus dem Rasna-Land«, entgegnete er leichthin. »Vergiß die Seeleute nicht, wenn du den Segen der Götter erflehst.«
    »Gewiß nicht.«
    Er wollte sich schon abwenden, als ihm auffiel, daß der Junge ein Gesicht machte, als habe er sauren Wein getrunken. Wieder dachte Arion, daß er Ulsnas Überlebensaussichten nicht allzu hoch einschätzte; bedauernd klopfte er dem Barden auf die Schulter. »Paß auf dich auf, Kleiner«, sagte er, dann nickte er den Gesandten zu und ließ die beiden, die so unerwartet in sein Leben getreten waren, hinter sich.
    In seiner Heimat hatte Ulsna von den felsigen Bergen im Norden gehört, war jedoch nie so weit gekommen. Einigen Bergen im Süden sagte man sogar nach, sie spien gelegentlich Feuer, aber auch diese Geschichte hatte er nie überprüfen können, zumal er, als die Kassiopeia in Syrakus vor Anker lag, an Bord geblieben und auch der Berg, auf den die Seeleute ihn bei der Fahrt durch die Meerenge eigens aufmerksam gemacht hatten, ruhig geblieben war. Daher entfaltete sich die Landschaft von Attika und Boiotien, die sie durchquerten, als etwas völlig Neues vor ihm. Gelegentlich gerieten sie zwischen dunkle Klippen, die aufragten wie abgebrochene Spitzen eines Kamms, und inmitten von Hitze und Staub fröstelte ihn. Er war im wesentlichen ein Stadtkind, doch durch Reisen mit seinem alten Meister durchaus Straßen, Wege und auch Hügel gewöhnt. Aber hier fehlten den Hügeln die dichten Wälder, und die Berge wurden größer, als irgendein Berg das Recht hatte zu sein. Kein Wunder, dachte Ulsna, daß die Götter auf einem ihrer Berge hausten.
    »Haben die Griechen dieselben Götter wie wir?« fragte er Ilian bereits am ersten Reisetag, nicht nur aus echter Neugier, sondern auch um sich davon abzulenken, daß Arion ihn selbst beim Abschied beinahe übersehen hatte. Er schritt neben ihrem Esel, der außer Ilian auch das Bündel mit ihrer beider Habseligkeiten und seine Harfe trug. Der Rest ihrer Gruppe versuchte immer etwas Abstand zu ihnen zu halten, auch wenn ihnen ab und zu ein Blick zugeworfen wurde, und so gingen sie deutlich hinter den anderen. Ulsna hatte nicht versucht, ein Gespräch mit einem der Korinther zu beginnen.
    »Sie müssen uns glauben, daß wir auf einer Pilgerfahrt sind«, hatte Ilian ihm eingeschärft. »Denk daran, was wir hier gelernt haben. Umgänglichkeit von einer Frau wird als Werbung einer Dirne verstanden, und da wir gemeinsam reisen, werden sie glauben, du sprichst für mich.«
    Als er sie nach den Göttern fragte, krauste sie die Stirn und entgegnete schließlich:
    »Ja und nein. Einige ihrer Götter sind auch die unseren, soweit ich das ersehen kann. Sie nennen Nethuns Poseidon, und Tin nennen sie Zeus. Aber andere Götter, die sie anflehen, sind mir unbekannt und scheinen nur ihnen zu gehören, so wie sie auch keine Namen für einige unserer Götter haben. Danach werde ich in Delphi fragen.«
    In Delphi, so erinnerte sich Ulsna aus seinen Liedern, herrschte der griechische Gott Apollon. Es mußte einer jener Götter sein, die nur den Griechen zueigen waren, denn er konnte Apollon mit keinem vergleichen, der in den Zwölf verehrt wurde. Bei Arions Fest hatten die anderen Musikanten Apollon als ihren Schutzherrn angerufen; Proknes Dienerin hatte, als sie einen der fürchterlich riechenden Kräutertränke für Ilian mischte, desgleichen getan. Doch in den Liedern, die den Krieg von Troja besangen, brachte ein erzürnter Apollon den Seuchentod.
    »Wenn Apollon keiner unserer Götter ist«, meinte er nachdenklich, »warum

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