Die Söhne der Wölfin
kein Straßenmädchen, das seinem Kunden jederzeit zur Verfügung stehen mußte, doch monatelange Enthaltsamkeit und eine mit hoher Wahrscheinlichkeit lädierte Figur waren etwas, das man einem Gönner nicht zumuten sollte.
Der Körper ist ein Verräter, flüsterte es in ihr, und sie verwünschte Arion, weil er ihr das Mädchen ins Haus gebracht hatte, und ihren Vetter, weil sie ihm verpflichtet war. Sie verwünschte sich außerdem auch selbst. Schließlich hatte sie immer gewußt, daß sie altern würde, da mußte keine abgerissene Fremde kommen, um sie darauf aufmerksam zu machen. Es war töricht gewesen, dem Mädchen überhaupt mehr als die allernotwendigste Aufmerksamkeit zu schenken. Aber sie hatte etwas. Nicht unbedingt etwas Gutes, doch wenn man sich in einem Raum mit ihr aufhielt, nahm man sie einfach wahr und hatte das Gefühl, auf sie achten zu müssen. Nicht unbedingt wie eine Mutter auf ihr Kind, eher wie auf einen möglichen Gönner, der sich entweder als gewalttätig oder als großzügig entpuppen könnte, vielleicht auch beides.
Sie saß mit dem Rücken zum Eingang, und als sie in den Tiefen ihres Spiegels aus Elektron, der so gesuchten ägyptischen Mischung aus Kupfer und Silber, mit der ihr letzter Gönner ihr hatte schmeicheln wollen, eine Gestalt auftauchen sah, dachte sie zuerst unwillkürlich, ihre Kopfschmerzen gaukelten ihr Ilian vor, bis das Mädchen sich räusperte.
»Wie ich sehe, geht es dir besser«, sagte Prokne, ohne sich umzudrehen.
»Ja.«
Als Ilian nichts weiter sagte, spürte Prokne inmitten der Unruhe einen Funken Erheiterung in sich aufsteigen.
»Ich würde gerne Wer-spricht-Zuerst mit dir spielen«, versetzte sie, »doch ich bin eine vielbeschäftigte Frau. Was willst du?«
Ilian zögerte lange genug, um Prokne ungeduldig zu machen. »Einen Rat«, entgegnete sie schließlich, und Prokne wandte sich ihr zu. Sie stellte bei sich fest, daß ihre Dienerin offenbar ihren Anweisungen gefolgt war und die Lumpen, in denen Ilian hier eingetroffen war, verbrannt hatte. Weniger gefiel ihr, daß man Ilian statt dessen eines ihrer eigenen Kleider gegeben hatte, nicht, wie angeordnet, eines der Dienerinnen. Nun, zumindest war es keines der kretischen. Die athenische Tracht ließ sich verschmerzen. Sie war weiß, und verbunden mit dem kurzen Haar Ilians erinnerte sie Prokne mit einemmal fröstelnd an ein Begräbnis. An den Tod ihres Vaters, an die Mutter, die sich und allen Kindern das Haar abgeschnitten und es als Grabspende dargebracht hatte, wie es sich ziemte.
»Du solltest eine Perücke tragen, bis das Haar wieder nachgewachsen ist«, sagte sie unvermittelt, und Ilian schaute aufrichtig verdutzt drein.
»Was ist eine Perücke?«
Du meine Güte, dachte Prokne, kein Wunder, daß die Rasna so begierig auf den Handel mit uns sind, wenn sie derart zurückgeblieben leben. Sie gab eine kurze Erklärung über den ägyptischen Kopfputz ab.
»Natürlich«, schloß sie, »rasieren sich die Ägypter ohnehin den Schädel, was wir nicht nötig haben. Das ändert nichts an der vorteilhaften Wirkung einer Perücke. Sie kann dem Gesicht neue Seiten abgewinnen. In deinem Fall würde sie verhindern, daß man dich für«, sie suchte nach dem passenden Ausdruck, »ein schlechtes Zeichen hält«, schloß sie endlich, unzufrieden mit sich und doch nicht in der Lage, über den Gedanken an Grabspenden zu sprechen. Bei seinem Hang zu unheilvollen Auslegungen würde das Mädchen ohnehin darauf kommen und gleich eine weitere Predigt über die Sterblichkeit anschließen.
»Wenn die Ägypter Perücken tragen, woher weißt du dann, daß sie sich die Schädel rasieren?« fragte Ilian, und die in ihren Erwartungen getäuschte Prokne erwiderte verwirrt, das wisse jeder.
»Warst du schon einmal in Ägypten?«
»Selbstverständlich nicht. Es gärt in dem Land, seit die Nubier es beherrschen, und jetzt haben anscheinend auch noch die Assyrer ein Auge darauf geworfen. Männer, die am nächsten Tag in einem Aufstand oder einem Krieg getötet werden können«, schloß Prokne und gestattete sich eine leichte Grimasse der Art, die sie eingeübt hatte, weil sie nicht entstellend wirkte, »eignen sich nicht als Gönner.«
Ilian zog eine Augenbraue hoch und murmelte: »Wenn du das sagst.«
Der Hauch von Spott erinnerte Prokne wieder daran, warum sie ärgerlich auf das Mädchen war.
»Was genau willst du?«
»Ich möchte dir meinen Dank abstatten und dich etwas fragen. Ulsna ist enttäuscht, daß ihn Arion nicht hat
Weitere Kostenlose Bücher