Die Söhne der Wölfin
bleibt beide am Leben, doch es versteht sich von selbst, daß der Sproß eines Latiners niemals Anspruch auf den Thron erheben kann.«
»Das versteht sich. Aber du und mein Onkel, ihr habt euch verrechnet. Es ist eine Lüge, Fasti, das werde ich allen sagen, und ich werde niemanden heiraten. Zu lügen ist eine Beleidigung der Götter, nicht wahr - Priesterin?«
Die erbitterte Enttäuschung, die in den Worten lag, prallte an Fasti ab. Sie empfand sogar einen Hauch Befriedigung darüber, daß Ilian nun etwas von dem fühlen mußte, was sie in ihrer Lehrerin ausgelöst hatte. Die einzige andere Novizin, deren Ausbildung so weit fortgeschritten war wie die Ilians, die einzige, welche Ilian als zukünftige Hohepriesterin hätte ersetzen können, war das Mädchen gewesen, dem es gelungen war, sich aus unverzeihlicher Unachtsamkeit das Genick zu brechen. Eine Priesterin gehörte der Göttin, nicht sich selbst, doch der Groll, der sich in Fastis damalige Trauer gemischt hatte, war nichts im Vergleich zu ihrem Zorn über Ilian.
»In der Tat. Wenn du die Wahrheit sagst und die Götter dich als ihr Instrument erwählt haben, wenn ein Gott der Vater deines Kindes ist, dann werden sie dich auch schützen. Dann brauchst du uns nicht.«
Ilian richtete sich auf. »Wie meinst du das?«
»Nun, der König weiß, daß er dich zu nichts zwingen kann. Aber er darf auch nicht zulassen, daß die Stadt durch dich leidet. Also werden wir dich dem See übergeben, gebunden an einen Stein, der so schwer ist, daß ihn nur zwei Männer tragen können. Wenn du die Wahrheit sagst, dann werden die Götter nicht zulassen, daß du ertrinkst. Sie werden dich vor unser aller Augen retten, und ich selbst werde mich vor dir beugen und dich um Verzeihung anflehen, wie auch der König. Und nun frage ich dich, Ilian, Tochter des Numitor und der Aprthnei, bist du die Erwählte der Götter? Ist dein Glaube stark genug?«
Vor vielen Jahren, in ihrer Kindheit, hatte Fasti einmal einen Winter erlebt, der so kalt gewesen war, daß es eine Woche lang an jedem Tag geschneit hatte wie sonst nur oben im Norden. Sie hatte den Schnee mit den Händen aufgefangen und die kristallene Schönheit der Flocken bewundert, aber nur für sehr kurze Zeit, ehe sie sich auflösten und zu kaltem Wasser zerschmolzen, das nur noch lästig war. Jetzt erinnerte sie sich daran, als sie sehen konnte, wie in Ilians Augen etwas zerbrach, wie das Feuer aus ihnen schwand und nur noch ein verängstigtes kleines Mädchen zurückblieb. Zum ersten Mal spürte sie einen Anflug von Reue, denn sie wußte, daß es grausam war, was sie tat. Es gab kaum einen Menschen, dessen Glauben stark genug war für so eine Prüfung, und wenn sie ihr eigenes Inneres erforschte, so war sie bereit einzugestehen, daß sie selbst nicht derart auf die Probe gestellt werden wollte. Aber, so sagte sich Fasti, sie hätte auch nie gewagt zu behaupten, das Kind eines Gottes in sich zu tragen.
»Das würde er nicht tun«, flüsterte Ilian, aber der Protest war bereits ein Zugeständnis, und sie wußten es beide. »Er würde mich nicht töten.«
Fasti zwang sich, nur an ihrem Zorn festzuhalten und die Versuchung, ihrer alten Zuneigung zu Ilian nachzugeben, zu unterdrücken. »Selbstverständlich würde er das, wenn du lügst und gewissenlos den Frieden der Stadt gefährdest. Dafür hat er deinen Vater und deine Brüder verstümmelt, und dafür wird er dein Leben nehmen. Und wenn du nicht lügst, wird er dich auch nicht töten, denn dann werden die Götter dich retten.«
»Du würdest das zulassen, Fasti?« fragte Ilian heiser. »Gegen das Gebot der Göttin, das alle Schwangeren schützt?«
»Wenn du lügst, verdienst du nichts anderes.«
Ilian drehte ihr Gesicht zur Wand. Mit erstickter Stimme stieß sie hervor: »Geh.«
Fasti rührte sich nicht. Das Mädchen mußte endgültig gebrochen werden, sonst bestand die Gefahr, daß sie wieder Mut schöpfte und das Ganze von vorne begann.
»Was also soll ich dem König sagen?« gab sie zurück und ließ Hohn in ihre Stimme einfließen. »Soll er die Stunde bestimmen, um ein Wunder der Götter zu erleben?«
»Sag ihm, daß ihr gewonnen habt«, antwortete Ilian ausdruckslos. »Sag ihm, mein Glaube sei nicht stark genug. Nicht an die Götter, nicht an ihn und nicht an dich. Sag ihm das.«
Es wäre nur ein Ausstrecken der Arme nötig, und Fasti hätte Ilian an sich ziehen und ihr versichern können, daß sie ihren Tod nie zugelassen hätte. Doch erneut erinnerte sie sich
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