Die Soldaten
Säbelschwung ging ins Leere, die Löwin hob die Tatze nach der Waffe, spielerisch. Kertz knurrte etwas, das klang wie »Komm schon, meine Süße, zier dich nicht so!«. Er schlug abermals ins Nichts und verlor beinahe das Gleichgewicht. Gyffs und Behnk waren jetzt beinahe heran.
Mit vereinten Kräften gelang es Emjen und Onida Raubiel unterdessen, die Pferde wieder zu beruhigen, da die Raubtiere hinter ihnen ebenfalls angehalten hatten. Der Abstand zu den Infanteristen betrug allerdings schon mehr als eine halbe Meile. Endlich konnte der Rest des Fernwaffenzuges – Ekhanner, Nelat, Stodaert und von den Holtzenauen – hinten vom Wagen klettern und seinen Kameraden zu Hilfe eilen. Stodaert blutete aus einer Platzwunde an der Augenbraue; er war beim Anrucken des durchgehenden Gespanns mit dem Gesicht unglücklich auf die Kante der Proviantkiste geschlagen, klagte aber nicht darüber.
Leutnant Fenna spürte, dass etwas mit seinem rechten Knie nicht in Ordnung war. Das Aufstehen schmerzte, das Losgehen schmerzte, das Rennen noch mehr. Die Fernwaffenleute waren viel zu weit hinten, um noch irgendeine Rolle spielen zu können. Vor ihm war Deleven und schoss im Laufen, was sein Bogen hergab. Noch weiter vorne wurde gegen Bestien gekämpft. Gyffs. Wo war Gyffs? Fenna konnte niemanden erkennen. Alle Menschen sahen genau gleich aus im Angesicht der riesenhaften Löwinnen.
Die Löwin über Garsid spürte Delevens dritten Pfeil am Ohr und zuckte zusammen. Sie senkte den Kopf und verbiss sich in Garsid, um wenigstens diese Beute mit sich zu zerren. Einen Schritt weit zerrte sie. Dann traf sie ein weiterer Pfeil. Irritiert hielt sie inne. Von den Innenseiten ihrer Hinterbeine tropfte ihr Blut.
Auch Kertz’ Löwin schaute an dem fuchtelnden Soldaten vorbei. Gyffs und Behnk waren jetzt da, schwenkten Säbel. Weiter hinten kamen noch mehr Menschen. Die Lefzen der Raubkatze hingen weich herab. Die Zähne waren nur zu einem Viertel entblößt. Dann ging ein Ruck durch sie, wie ein Erschrecken. Sie wandte sich um und setzte auf weichen Tatzen ein Stück weit zurück, bevor sie abermals innehielt. Kertz rannte ihr hinterher, sodass er erneut Abstand zwischen sich und die abstoppenden Gyffs und Behnk brachte. »Anhalten, Soldat Kertz, sofort zurückkommen, das ist ein Befehl, verflucht noch mal!«, musste Gyffs brüllen, bis Kertz endlich stehen blieb.
Dann wandte sich Gyffs MerDilli und Kindem zu. Behnk folgte ihr, fiepend wie ein frierendes Hündchen.
Die Löwin über Garsid fauchte. Sie schnappte nach links unten, doch von dort erwiderte ihr Mails Emara mit einem verzweifelt geführten Abwehrhieb. Die Löwin zuckte zusammen. Sie fauchte erneut. Der nächste Pfeil traf sie ins Gesicht, seitlich der Nase. Sie schnaubte und bäumte sich auf. Dabei glitten ihr die Hinterpfoten weg. Blutmatsch klatschte. Die Löwin kam auf Jovid Jonis zu liegen, der wie abgehackt zu schreien aufhörte. Deleven ließ jetzt das Rennen sein, um besser zielen zu können, aber Kameraden und Löwin waren dennoch zu dicht beieinander. Alle badeten in Blut. Von der Seite hieb weiterhin Emara nach der Raubkatze – sein Entsetzen schien sich ohne Reibungsverluste in Zorn und Hass umgewandelt zu haben.
Leutnant Gyffs führte ihren ersten Schlag. Den ersten Schlag ihres Lebens überhaupt gegen ein wildes Tier, gegen einen todbringenden Gegner, gegen eine Inkarnation des Feindeslandes. Dieser Schlag unterschied sich kaum von Tausenden von Übungsschlägen. Und dennoch war alles ganz anders. Die Welt veränderte sich mit jeder Bewegung. Kindems Arm war längst kein Arm mehr. Das Tier hatte Augen und Rachen. Den Rachen wandte es jetzt Gyffs zu. Sie konnte den Atem der Bestie riechen. Der Atem roch sauer und salzig, nach faulendem Fleisch und eingelegtem Fisch. Die Löwin hatte ein schönes, ruhiges, erhabenes Gesicht mit bernsteinfarbenen Augen. Genau so sah etwas aus, das den eigenen Tod bedeuten durfte. Ein Angreifer mit dem ruhigen Gewissen eines Gewohnheitsmörder. Niemals ein Opfer.
Gyffs schlug wieder zu. Es war sinnlos. Dies war eine Panzerlöwin. Behnk tat es ihr gleich. Sie waren beide sinnlos, ohne Bedeutung, schon nicht mehr wirklich vorhanden.
Die erste Löwin starb auf Jovid Jonis, doch Emara hörte nicht auf zu schlagen. Seine Klinge durchtrennte Jonis beinahe das linke Ohr. Jonis versuchte sich zu wehren, gegen den Tod, der ihn von oben mit seinem Gewicht erdrückte, und gegen den eigenen Kameraden. Deleven kam näher und näher. Als er sah,
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