Die Sommerfrauen: Roman (German Edition)
angeschnitten zu haben. »Die beiden sind schon seit vielen Jahren zusammen. Das ist anders als bei uns, Ty. Das weißt du auch.«
Er sah sie lange an, betrachtete ihr im Wind wehendes braunes Haar. Sie wollte es immer wieder aus dem Gesicht schieben, es unter Kontrolle haben. Vielleicht hatte sie recht. Vielleicht hatte er kein Recht, sie zu bitten, an ihn zu glauben, an ihre Beziehung zu glauben. Aber sollte sie andererseits nicht auch Hoffnung haben?
»Das hat nichts mit den Jahren zu tun«, sagte er schließlich. »Kendra und ich zum Beispiel. Wir kannten uns seit der Schule. Gingen seit der achten Klasse miteinander. Ich dachte, ich würde alles über sie wissen. Und sie über mich, glaubte ich wenigstens.«
Der Wind wurde heftiger. Ty lehnte sich mit dem Rücken gegen das Geländer und schaute nun auf das Apartment, dachte darüber nach, wie er sich seine letzte Nacht dort vorgestellt hatte. Durchs Küchenfenster sah er die Flasche Wein, die er extra gekauft hatte, auf dem Schrank stehen. Er dachte daran, was er sich für diesen Abend vorgenommen hatte, als Joe ihm mitteilte, dass sie die Garage am nächsten Morgen abreißen würden. Es lief nicht nach Plan.
»Kendra und ich waren ewig lange zusammen; es fing an, als wir ungefähr vierzehn waren, und dauerte bis zum Studium«, sagte Ty. »Und diese Garagewohnung? Das sollte ich dir vielleicht nicht erzählen, aber irgendwie habe ich das Gefühl, es ist besser. Auf der Highschool schlichen wir uns immer herüber, weißt du, spätabends. Sie war nie abgeschlossen.«
Ty sah die Bestürzung in Ellis’ Gesicht. »Wir waren noch Kinder, auf der Highschool. Kendra tat gerne Dinge, die verboten waren, es machte ihr Spaß, ihren Vater auf die Palme zu bringen. Er hätte mich einsperren lassen, wenn er gewusst hätte, was wir hier oben so trieben.«
»Ich will das nicht hören«, sagte Ellis mit versteinerter Miene. »Mir ist klar, dass das lange her ist, aber ich will nichts davon hören, wie du mit deiner Freundin in demselben Bett geschlafen hast wie wir.«
»Es war nicht dasselbe Bett«, warf Ty schnell ein. »Natürlich nicht. Damals war hier noch gar kein Bett. Nur eine Luftmatratze.«
»Warum erzählst du mir das?«, wollte Ellis wissen. »Willst du mir wehtun, nur weil ich realistisch bin? Weil ich mein Leben nicht einfach aufgebe und zu dir ziehe? Wo sollte ich überhaupt hinziehen? Morgen hast du nicht mal mehr ein Haus, in dem du wohnst.«
»Ich habe ein kleines Cottage weniger als eine halbe Meile die Beach Road runter gemietet«, sagte Ty. »Pelican Cottage. Steht direkt in den Dünen. Es ist schlicht, aber es würde dir gefallen. Und wenn die Leute vom Film weg sind, könnten wir wieder zurück nach Ebbtide.«
»Darum geht es nicht«, sagte Ellis.
»Ich erzähle dir das alles, weil ich auf etwas hinauswill. Und zwar, dass es völlig egal ist, wie lange man jemanden kennt. Menschen ändern sich. Oder man kennt sie doch nicht so gut, wie man denkt. Du hast mir erzählt, du hättest einen großen Fehler gemacht, als du einen Mann geheiratet hast, den du nur kurze Zeit kanntest. Tja, ich habe auch einen Riesenfehler gemacht. Nur kannte ich Kendra schon mein Leben lang. Das änderte aber nichts, denn am Ende ging es uns genauso mies wie euch. Damals waren wir noch Kinder, jung und dumm. Anders als heute.«
Ellis blickte jetzt ebenfalls zur Wohnung. Sie war winzig, eng, kaum zwei Zimmer groß. Sie hatte sich ausgemalt, wie sie hier mit Ty leben würde, wie sie mit ihm aufwachen, bei Mondlicht duschen und zu Sonnenaufgang am Strand entlanggehen würde, doch erst in diesem Moment wurde ihr klar, dass all ihre Phantasien den einen sonnigen, idyllischen Sommermonat zur Grundlage hatten, den sie hier verbracht hatte.
Der September war nur noch wenige Tage entfernt. Dann wäre der Sommer vorbei.
»Du hast recht«, sagte sie zu Ty. »Wir sind keine Kinder mehr. Wir sind alt genug, um zu erkennen, dass manches nur … für den Moment gedacht ist. Vergänglich. Wie die Muscheln, die man am Strand sammelt. Sie sind so glänzend und perfekt, wenn man sie aufhebt, aber wenn man dann wieder zu Hause ist, sind sie ganz ausgebleicht und stumpf. Ich habe Angst, dass es mit uns genauso ist. Dass wir in drei Monaten oder in sechs Monaten dastehen und uns fragen, was wir im anderen gesehen haben …«
Tys Blick wurde dunkel. »Wirklich, Ellis? Das bin ich für dich? Einfach nur ein toller Typ, den du am Strand aufgegabelt hast? Ein Urlaubsflirt?«
»Nein!«, rief
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