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Die Sonate des Einhorns

Die Sonate des Einhorns

Titel: Die Sonate des Einhorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter S. Beagle
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in seine Richtung, doch er wich zurück und verschwand zwischen den anderen, machte sich so unsichtbar, daß sie sich nicht mehr sicher war, ob sie ihn überhaupt gesehen hatte.
    Touriq führte sie hoch hinauf zwischen die Hügel, einen schattigen Pfad entlang, dem Rauschen von Wasser entgegen. Der Bach lag in tiefem Schatten, und rote Blätter trieben darin, dazu eine blaue Feder. Touriq trat an den Rand und stieß dreimal einen leisen, tremolierenden Ruf aus. Nichts geschah. Er rief noch einmal.
    Ein plötzlicher Wirbel zu seinen Füßen, ein Platschen, und da war eine Bach-Jalla, die sich halb aufrecht am Ufer auf ihre Ellbogen stützte und sie mit dünnen, scharfen Zähnen anlachte. »Oje«, sagte sie. »Einer der Ältesten und eine Außerweltliche, welch Wunder.« Sie war kleiner als Joey, etwa so groß wie eine Zehnjährige: Sie war nackt, und ihre Haut zeigte im getupften Sonnenlicht einen blaugrünen Glanz. In einem runden, kindlichen Gesicht leuchteten diamantenförmige Augen – von derselben Farbe wie ihre Haut-, die Joey betrachteten, und zwar mit der Verschmitztheit einer Erwachsenen. Joey hätte einen Nixenschwanz erwartet, konnte aber nicht sehen, ob sie tatsächlich einen hatte. An den Händen der Bach-Jalla glitzerte es wie von Seifenblasen, und Joey sah, daß ihre langen Finger mit zarten Schwimmhäuten verbunden waren.
    »Welch Wunder«, sagte die Bach-Jalla noch einmal. »Ich habe noch nie eine Außerweltliche gesehen. Komm näher, Kind.«
Joey warf Touriq einen Blick zu, dann trat sie an den steinigen Rand des Wassers und hockte sich hin, um auf einer Höhe mit den Diamantenaugen zu sein. Sie sagte: »Ich heiße Joey.«
    Die Bach-Jalla gab ein Geräusch von sich, das dem Klirren von John Papas’ Goldmünzen glich. »Das ist mein Name«, erwiderte sie und lachte erneut, als Joey sie nachzumachen versuchte. Sie sagte: »Komm und schwimm mit mir. Ich zeige dir, wie man kleine, gepunktete Fische fängt.«
    Rasch schüttelte Joey den Kopf und sah überrascht, wie die Bach-Jalla den Blick ihrer seltsamen Augen senkte. »Ich tu’ dir nichts«, sagte sie. »Wir Jallas brauchen einander als Gesellschaft, aber ich bin die einzige im ganzen Bach. Ich fühle mich einsam.«
    »Tut mir leid«, sagte Joey. »Das ist wirklich traurig. Kannst du nicht einfach in einen anderen Bach oder Fluß umziehen?«
    »Wir leben und sterben, wo wir geboren werden«, antwortete ihr die Bach-Jalla. »Ich suche mir, so gut es geht, Gefährten – Vögel, Wasserschlangen, sogar Älteste –, aber niemand will mit mir schwimmen, und ich kann nicht durch ihre Wälder laufen.« Sie hob keinen Schwanz, sondern einen Fuß aus dem Wasser, und Joey sah, daß er winzig, dreizehig und schmerzlich nutzlos war. Die Bach-Jalla sagte: »Das ist unsere Art der Verbundenheit: das Schwimmen.« Sie streckte eine Schwimmhand aus und legte sie auf Joeys Finger, so leicht, daß es sich wie der Kuß einer Seifenblase anfühlte.
    Wieder sah Joey Touriq an. Das Einhornfohlen machte keine Anstalten, ihr etwas zu raten. Ko hat gesagt, sie wären harmlos. Es sind die anderen, die einen fressen. Glaube ich. Sie begann, ihre Kleider auszuziehen.
    Das Wasser war genauso kalt, wie sie befürchtet hatte, und das Ufer fiel ziemlich rasch steil ab, Joey ging unter, kam keuchend wieder nach oben und sah sich hektisch nach der BachJalla um. Von dieser war nichts zu sehen, bis eine Schwimmhand Joeys Knöchel packte, um sie wieder unter Wasser zu ziehen. Einen Moment geriet sie in Panik, trat um sich, schlug aufs Wasser ein – mein Gott, ist die stark! –, doch augenblicklich ließ die Hand sie los, und die Bach-Jalla war neben ihr, die Diamantenaugen strahlend vor Vergnügen. »Ja!« rief sie. »Genauso spielen wir. Jetzt du.«
    Joey wollte schon sagen: »Jetzt ich was?«, doch die Bach-Jalla war wieder untergetaucht. In ihren Gedanken rief Touriq vom Ufer aus ganz aufgeregt: »Hinterher! Mach schon!« Joey suchte die Oberfläche ab, entdeckte fast zum Greifen nahe eine Spur von feinen Silberblasen und tauchte danach.
    Blitzartig kam ihr die Bach-Jalla entgegen, ganz knorpelig und sehnig und glänzend, fast wie mit einem Schuppenkleid. Nie entkam sie ihr ganz, doch wand sie sich und taumelte durch Joeys Arme, gurgelte und schnurrte selig, drehte sich bisweilen in flinker, unwiderstehlicher Hast, daß Joey sich in ihrem eigenen Griff verfing und zum Grund hinuntergezogen wurde. Sie konnte viel länger unter Wasser bleiben als Joey, doch wenn diese ihr das

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