Die Sonne war der ganze Himmel
ballten sich immer wieder dort zusammen, wo das Gewehr hätte sein müssen, und ich schwitzte weiter, und mein Herz schlug viel zu schnell.
Der Krieg lag hinter mir, und ich hätte eigentlich froh sein müssen, kann mich aber nur an tiefe Müdigkeit und eine dumpfe, pochende Benommenheit erinnern. Der silberne Streifen, zu dem die Bäume am Straßenrand verschwammen, war ein gewisser Trost, weil er sowohl für die Vergangenheit als auch für die Gegenwart stand. Ich wäre gern ausgestiegen, um über die Rinde zu streichen, war überzeugt, dass sie glatt war, und obwohl es immer noch auf diese seltsam zögernde Art regnete, hätte ich gern draußen gestanden, um zu spüren, wie der Regen auf meinen braungebrannten Nacken und auf meine Hände fiel.
So legten wir den restlichen Weg zurück, schweigend, und meine Finger krampften sich ab und zu zitternd zusammen. Die Sonne stand über den Häusern, halb verhüllt von Regenwolken. Der Fahrer ließ mich an einer breiten Straße aussteigen. Straßenlaternen entließen ihr fahles Licht in den grauen Nachmittag, und nachdem ich den Taxifahrer bezahlt hatte, ging ich in die Innenstadt. Ich durchschritt Lichtkreise, geworfen von den Laternen und dem gelegentlich durch die Wolken fallenden Sonnenschein. Am Ende der Turnerstraße hatten die Lichter einen verlässlichen Rhythmus gefunden, und ich durchquerte sie in regelmäßigeren Abständen. Ich stellte mir vor, wie sich Sterling gemeinsam mit einigen anderen Jungs davonstahl, um es in den Bars der Stadt so richtig krachen zu lassen. Ich hoffte, ihnen nicht über den Weg zu laufen, und das nicht nur, weil ich mich unerlaubt entfernt hatte. Der bloße Gedanke an Sterling ließ beißende, brennende Galle in meiner Kehle aufsteigen.
Ich kam an einer Kirche vorbei, und weil es so nasskalt war, ging ich hinein. Im Inneren war es genauso dämmerig wie draußen. Am Eingang entdeckte ich eine zweisprachige Broschüre über die Geschichte des Hauses, faltete sie auf, als wollte ich mich dahinter verstecken. Ich trat gebückt in eine Stuhlreihe hinten im Querschiff. Gerade hatte eine Führung für Schüler begonnen, und ich versuchte, ihr anhand der Broschüre so gut wie möglich zu folgen.
Die Kirche war alt. Die Sonne stand inzwischen so, dass sie das Rot und Blau der Bleiglasfenster nicht mehr über den Steinfußboden wandern ließ. Vom Kirchenschiff ausgehend, lief die Kirche mit ihrer Gewölbedecke und den mit Skulpturen geschmückten Kapitellen in der Apsis aus. Die Schulkinder wirbelten mit schlurfenden Schritten Staub auf, der auf eine ganz besondere, nur selten anzutreffende Art im Licht tanzte.
Ein Priester bereitete hinter dem Altar irgendeine Zeremonie vor. Ich sah zu, wie er nach Kerzen und Weihrauch griff und alles sorgsam auf einem Tischchen anordnete.
Die Fremdenführerin blieb mit der Schülergruppe stehen. Sie deutete auf ihren Mund, ihre Ohren und ihre Augen, als wollte sie darauf hinweisen, dass der Mensch mit Stimme, Gehör und Sehvermögen begabt ist. Die Fremdenführerin, die Kinder und ich, wir alle waren sehr still, und diese Stille schien den Priester auf uns aufmerksam zu machen. Dann gingen die Kinder weiter. Sie kicherten und kniffen einander in den Po, manche standen mit »Ah!« und »Oh!« vor den Heiligenbildern. Nachdem sich die Kinder entfernt hatten, las ich die Namen der Heiligen in der Broschüre nach und überlegte, wie es gewesen wäre, wenn man mich als kleines Kind mit ihnen bekannt gemacht hätte.
Es gab einen wunderschönen Sebastian mit Pfeilen in der Brust. Das Blut seiner Wunden erinnerte an vertropftes Kerzenwachs, dergestalt geronnen, dass er unverändert und immerfort sterbend tausend Jahre lang an einer Kirchenwand hängen konnte. Außerdem die heilige Theresa, die mit weit offenem Mund zu stöhnen schien, als würde sie durch den Schmerz ihrer Wunden zum Höhepunkt gelangen. Ich entdeckte auch ein Bildnis des unbeugsamen Jean-Marie Vianney, der aus Napoleons Armee desertiert war und als Pfarrer rund um die Uhr die Beichte abgenommen hatte. Er wurde heiliggesprochen. Sein Herz, das in einer kleinen, schmucklosen Glasvitrine in Rom ruht, schlägt zwar nicht mehr, ist aber vollkommen unversehrt.
Die Kinder staunten wieder aufgesetzt. Ihr Atem wölkte in der kalten Luft, als wäre er eine Manifestation ihrer leisen Stimmen, die kurz über ihren Köpfen hing und, bevor sie sich auflöste, nicht nur den Blick auf den Altar trübte, sondern auch das durch die Bleiglasfenster fallende
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