Die Sonnenposition (German Edition)
erreichen, es machte ihr nichts aus, denn sie liebte den Umgang mit den Pferden. Er erfüllte sie mit Wärme und Sinnhaftigkeit, und sie war mit ihren Teilsiegen zufrieden.
Die Pferde waren gedopt, sie erreichten unerhörte Geschwindigkeiten, und wenn Katja Wonderblom ritt, verschmolz sie mit dem Pferdekörper und ging in dieser Geschwindigkeit auf. Dann stürzte ein Kollege im Training. Er prallte gegen die Bande und brach sich die Wirbelsäule. Vom Hals abwärts gelähmt. Nie wieder arbeiten. Er hatte das Pferd nicht im Griff, sagte der Trainer, das darf nicht passieren, unkonzentriert auf dem Pferderücken, seine eigene Schuld.
Von da an hatte sie Angst. Die Angst kam schleichend, siekam eine Woche nach dem Unfall, als hätte eine schwerfällige Instanz in ihr erst dann begriffen, was passiert war. Weil die Angst schleichend kam, fiel sie ihr zunächst kaum auf. Sie kam abgekoppelt von der Arbeit, überfiel sie nachts im Bett, überfiel sie in öffentlichen Verkehrsmitteln, die sich nur schleppend durch die Stadt bewegten. Katja war ein anderes Tempo gewohnt, sie störte sich an den drängenden Leuten, und sie hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Im Stall bei den Pferden fiel die Beklemmung von ihr ab. Die Pferde raschelten mit Heu, kauten gemächlich, strömten ihren starken beruhigenden Pferdegeruch aus.
Erst als ein neuer Hengst eintraf, ein pechschwarzes Tier aus dem Bruderland Ungarn mit Namen Revisor, der sich in seiner neuen Box aufbäumte, nach allem schlug und um sich biß, weitete sich Katjas Unwohlsein aus. Sie ritt Revisor, und ihr Atem ging stockend. Das Pferd raste mit ihr über die Bahn, und ihr schien, daß sich die Luft mit unerhörtem Druck gegen sie preßte, ihr schien, daß diese herandrängende Luft zu fest war, um in ihre Lungen zu gelangen. Sie fürchtete zu ersticken, die Kontrolle über den Hengst begann ihr zu entgleiten, und der Trainer sah das.
Am nächsten Morgen gab er ihr einen Plastebecher, auf dessen Grund zwei Pillen lagen. Sie schluckte sie, wie sie gewohnt war, alles zu schlucken, die Anfeindungen neidischer Kollegen, die Rüffel des Trainers, auch Lob. Am Anfang hatte der Trainer sie ausgewählt, und es hatte ihr gefallen, in einer Welt der Gleichheit etwas Besonderes zu sein. Besonders leicht, besonders geschmeidig, besonders gut. Er hatte ihr eine große Zukunft prophezeit, ihr alles versprochen und im Gegenzug auch alles abgefordert. Sie bekam das beste Rennpferd, sie war euphorisch gewesen, aber ihren Status, die Beste zu sein, mußte sie jeden Tag aufs neue beweisen.
Es kam der Große Preis der DDR, es kam das InternationaleMeeting der Vollblutpferde sozialistischer Länder, es kam das Herbstderby. Die bunten Pillen in Katjas Becher vermehrten sich. Ihre Angstattacken nahmen zu. Morgens früh beim Training, wenn die Sonne aufging, war sie nicht mehr fähig, die frühere Magie zu erzeugen, sich dem Sog zu überlassen, die Zukunft im Blick. Der Rausch der schnellen Bewegung stellte sich nicht mehr ein, Revisor spürte das und wurde unsicher, langsamer. Man drohte ihr. Sie schluckte Pillen, aber die Wirkung der Pillen nahm ab. Revisor bekam einen anderen Reiter. Dies war der Moment, der sie aufgeben ließ.
Katja Wonderblom nahm einen Bürojob an. Nach wie vor mußte sie Beruhigungsmittel einnehmen, um das Haus verlassen zu können. Wenn sie reduzierte, bekam sie im Büro Anfälle von Atemnot und auf offener Straße eine Panik, die sie verhinderte, den Heimweg anzutreten. Sie stand mehrere Stunden auf einer Brücke, ans Geländer geklammert. Sie konnte keine Plätze überqueren. Sie konnte nicht mehr Bus fahren. Sie nähte sich ein Pony aus Plüsch.
13 Schlafversager
Ausgeleiert. Der für gewöhnlich lautlose Gummizug meiner Schlafanzughose dehnt sich mit einem unschönen Ratschen, einem gewissen Widerstand, und schnellt nicht mehr zurück. Ich habe bereits die Bettdecke zurückgeschlagen und das Kissen aufgeschüttelt, ich bin mit beiden Beinen in die seidene Hose gestiegen und habe sie am Bund in die Höhe gezogen. Das Gummi verhielt sich unnachgiebig, zwackte an den Oberschenkeln, dann gab es nach, zu sehr.
Mein zweiter Schlafanzug, der mit den Blockstreifen, ist in der Wäsche. Ich besitze nicht übertrieben viele Schlafanzüge, ich habe diese beiden, den lindgrünen mit den Blockstreifen und den dunkelgrauen mit den Nadelstreifen, die mich entsprechend meiner Stellung kleiden, auch wenn es niemand sieht. Vor dem Umzug in den Osten assistierte meine
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