Die Sonnenposition (German Edition)
Buche steht.
Dennoch. Wir müßten einen Kammerjäger kommen lassen. Aber ich möchte dieses Thema in Gegenwart von Frau Dr. Z. während der Mäusemode nicht ansprechen. Und sie selbst verläßt das Gebäude bei Einbruch der Dunkelheit, sie hält sich nur in gut ausgeleuchteten Zimmern auf, sie sieht ausschließlich das, was sie sehen möchte, sie würde über ein unerwünschtes Tier im Haus einfach hinwegsehen, sie könnte eine Ratte vermutlich gar nicht erkennen.
Tatsächlich sind die Ratten nach einer Schrecksekunde fort. Das Licht in der Halle beleuchtet nichts. Durch die Fenster fällt es wie fremde Fühlung nach draußen und wütet über den Büschen. Es herrscht ein Scheinherbst unter diesem Licht: Grellgelbe Blätter hocken den Eibenhecken auf und ziehen wilde Fratzen. Ich presse das Gesicht an die kühle Scheibe, sehe aus den Augenwinkeln meine blasse, schiefgezogene Haut. Ledrige Gnomengesichter starren von draußen zurück.
Ich durchquere im hinteren Teil des Schlosses einige ungenutzte Räume. Die Bestuhlung eines Klassenzimmers, eiserne Beine und Sitze aus Holz, türmt sich in einer Ecke übereinander. Als habe hier regelmäßig Unterricht oder doch zumindest eine längere Belehrung stattgefunden. Ich schreite über moosgrünen, kratzigen Bodenbelag, der den Eindruck einer allgemeinen und vollständigen Verfilzung macht. Und wir warten nur darauf, daß sich dieses filzige Moos weiter ausbreitet, daß es auch die anderen Räumlichkeiten, daß es uns alle gnädig überzieht. Solch eine Vorstellung ist insofern nicht unbegründet, als dieser Teil des Gebäudes nicht nur der Renovierung harrt, sondern auch und vor allem der Dekontamination. Ein längerer Aufenthalt in diesen Räumen ist der Gesundheit nicht zuträglich, man hat in den sechziger Jahren die Schädlingsbekämpfung übertrieben, alle Holzkonstruktionen mit einem Mittel behandelt, das heutzutage als Zell- und Nervengift gilt. Selbst die Bohlen unter den Teppichfliesen dünsten noch immer Schadstoffe aus, erzeugen Kopfschmerz, Schwindel, Konzentrationsstörungen, rufen Übelkeit und Erbrechen hervor. Man muß eine Giftabschottung durchführen, die Deckenbalken maskieren, wenn man nicht alles herausreißen, abreißen will. Das Gebäude steht unter Denkmalschutz, die sachgerechte Entgiftung wird teuer. Es ist der Teil des Schlosses, den die Ratten meiden.
Unterhalb der verseuchten Räume befindet sich die Küche. Ich frage mich regelmäßig, ob es rechtens ist, diese Küche überhaupt zu benutzen. Ob die Kacheln an den Wänden, der wasserabweisende Anstrich diesen sensiblen Bereich tatsächlich ausreichend isolieren. Aber die Schadstoffmessung hat ergeben, dies sei der Fall. Andernfalls hätten wir hier gar nicht einziehen dürfen.
Ich suche in den riesigen Besteckschubladen nach einem Gemüsemesser. Eine Schublade, breit und tief, enthält nur Gabeln, die darunterliegende ist voll mit Suppenlöffeln, eine kleine, oberhalb, sammelt Schälmesser, Obstmesser, Messer zum Zwiebelschneiden. Ich nehme die Sicherheitsnadel von meiner Schlafanzughose ab, klemme sie zwischen die Lippen und beuge mich über meinen Hosenbund. Ich trenne ein Stück der Naht auf, so viel, daß ich das Gummiband erreichen kann. Mit der Sicherheitsnadel fische ich danach und ziehe es ein Stück heraus, ziehe es stramm und verknote die Schlaufe, die jetzt aus der Hose lappt, mit einem Aufziehknoten. Ich lasse die Sicherheitsnadel in die Kitteltasche gleiten. Das Gummi spannt am Bauch und verursacht mir ein flaues Gefühl. Ich weiß nicht, ob es der Magengegend in diesem Fall nützt, etwas zu essen, oder im Gegenteil. Neben der Küche liegen der Vorratsraum und der Kühlraum. Im Vorratsraum lagern Säcke mit Pulver für ein Orangengetränk, Säcke mit Kartoffelmehl und Erbsmehl, Gelatinekartons, Kisten mit Aufbackbrötchen.
Die Küchenvorräte sind nicht für Einzelpersonen gedacht. Man kann aus der Masse nichts herausnehmen, nicht einmal ein halbrohes Brötchen entwenden, keinen Teigling an Land ziehen, ohne eine Riesenpackung anbrechen zu müssen. Es fällt sofort auf. Jetzt entriegele ich die schwere Tür zum Kühlraum, mein Atem wird augenblicklich sichtbar, ich dampfe. Ich betrete den Raum nur mit einem Bein, das andere lasse ich vor der Schwelle stehen, damit die Tür nicht zufallen und mich einschließen kann. Hinten stapeln sich Pappkartons mit Cordon bleu, Kroketten und schockgefrosteten grünen Bohnen. In meiner Reichweite ein großer Beutel Reibekuchen; ich nehme
Weitere Kostenlose Bücher