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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Poschmann
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ein Bücherregal als Raumteiler aufgestellt, ein anderer mit einem Tischchen, auf dem sich Gegenstände seiner Landsmannschaft befinden, im Durchgang den Beginn seines Reviers markiert. In dieser Unabgeschlossenheit hat sich das Ehepaar aus Ungarn eine Dekoration aus ungarischem Weihnachtsschmuck gebaut, so, wie man in einem Treppenhaus eine Topfpflanze aufstellt.
    Es scheint durchaus Räume zu geben, die nur mir zur Verfügung stehen. Etwas zweifelhafte Räume, die nach außen hin offen sind, auf eine Balustrade führen, auf einen Balkon. Doch,es gibt Räume, die außer mir niemand betritt, eine Nische an der Kellertreppe, ein fensterloses, höhlenartiges WC. Unklar bleibt allerdings, wie weit meine Wohneinheit reicht. Ich möchte keinesfalls in die Privatsphäre der anderen dringen, in die Bereiche der Familien, die ihre Kinder immerhin soweit im Griff haben, daß sie die angestammte Sphäre nicht verlassen. Ich sehe es durch die Regale hindurch, über die hüfthohe Anrichte hinweg, wie diese Kinder versunken in ihren Wohnzimmern spielen und gar nicht daran denken, über die Anrichte zu mir herüberzuklettern. Es würde sogar genügen, um die Anrichte herumzugehen, um den Bezirk zu betreten, den ich als den meinigen ansehe. Im Schlafzimmer hängt eine Plane von der Decke. Sie hängt so, daß sie meinen schmalen Streifen von dem größeren Raumteil abtrennt, in dem sich das Ehebett des Nachbarn befindet. Die Plane ist nicht ordentlich befestigt, sie hängt schief, so daß ich das nachbarliche Schlafzimmer gut einsehen kann. Der Nachbar winkt mir vom Bett aus zu. Sein kräftiger Oberarm winkt, sein Bierbauch. Ich hebe grüßend die Hand und erröte. Mit seinem Winken hat der Nachbar Widersprüchlichstes klargemacht:
    1. Er lädt mich ein, mich meines Teils des Schlafzimmers als rechtmäßiger Verfüger zu bedienen.
    2. Er ist durchaus nicht gewillt, die Plane so aufzuhängen, daß sich mein Teil dieses Zimmers etwas vergrößert. Wie sie jetzt hängt, bleibt mir ein schmaler Korridor, in den exakt mein Bett paßt, und zwar so, daß das Kopfende das Fenster verdeckt und ich über das Fußende hineinsteigen muß. Er kann es, das sehe ich ein, nicht anders regeln, denn er muß das Ehebett in diesem Schlafzimmer unterbringen.
    3. Er ist außerdem nicht bereit, die Plane geradezurücken und mir die Sicht zu versperren. Er hat keine Zeit. Dafür nimmt er in Kauf, daß ich seinen Schlafzimmeraktivitäten beiwohne, weil er mich ohnehin übervorteilt hat.
    In meinem Part befinden sich neben der Plane noch einzelne gediegene Wände, Wandbestandteile mit halb abgerissenen muffigen Rosentapeten, feuchte, gewölbeartige Wände, deren Massivität auf mich anheimelnd wirkt. Der Schimmel läßt sich, denke ich, entfernen, der mintgrüne Anstrich erneuern.
    Die Wohnungen haben ansonsten den Charakter eines Möbelkaufhauses, ja sie sind ganz wie ein Möbelkaufhaus konzipiert, mit Nischen, Buchten, Fluren, nur daß es sich nicht um Abteilungen mit ausschließlich Schlafzimmern, dann ausschließlich Kücheneinrichtungen usw. handelt, sondern um ganze Modellwohnungen, die Möbel vor einer Scheinwand plaziert, vor einem an Latten befestigten Poster, vor einem Vorhang. Es herrscht die Orientierungslosigkeit, die auch in einem Möbelkaufhaus herrscht, dieselben Bücherattrappen, dieselben bunten Teppiche. Mich stört, daß sich, wie in einem Möbelkaufhaus, immer wieder einzelne versprengte Besucher zu mir verirren, Besucher, die hektisch suchen, ohne daß sie zu sagen wüßten, was.
    Ich ziehe eine Cordhose über die Schlafanzughose, ziehe einen Pullover über das Oberteil und setze mich an den Schreibtisch. Ich habe ein Notizheft begonnen, in dem ich versuche, mir über Odilo klarzuwerden. Ein Unterfangen, das von vornherein zum Scheitern verurteilt ist, denn je mehr ich versuche, mich zu erinnern, desto mehr nimmt die Dunkelheit zu.
    Ich schreibe meine Aufzeichnungen auf kariertes Papier. Jetzt beginne ich damit, einzelne Kästchen zu umranden, ich zeichne Schraffuren hinein, male die Ecken aus, kästchengewordener Überdruß. Es hilft mir zu nichts.
    Motive, die in der Anstalt gemalt werden: ausgestaltete Geldscheine, Erscheinungen in der Einlegesohle, sexuelle Phantasien mit zerstückelten Körpern; Kritzeleien wie am Telefon, wenn die Vernunft abgelenkt ist. Und daneben immerdas Verlangen, brav gewesen zu sein. Zwanghaftes Musterlegen, Kästchenfüllen, Ergotherapie.
    Wenn ich aufblicke, sehe ich mich eingefaßt in schwarzes

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