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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Poschmann
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hinter sich gelassen hatte.
    Odilo zog sie weg. Sie rutschte jetzt auf dem glitschigen Holz, Odilo legte ihr den Arm um die Taille, und Mila versteifte sich.
    Theorie des Schönen
    Etwas Schönes, das in der Ferne aufscheint, immer in der Ferne, zu dem hin man sich werfen möchte und das sich doch, je näher man heranzutreten meint, desto weiter entzieht. Als erzeuge der Sehvorgang bereits einen festgelegten Abstand, der nicht zu überbrücken ist. Als würfe der Blick die Dinge aus uns heraus und mache sie mit ihrem Erscheinen zugleich unerreichbar: Luftschlösser, Hirngespinste, Traumgebilde, die wir normalerweise in uns tragen, in der inneren Dunkelheit, und die wir mit einem beiläufigen Es werde Licht aus uns herauszustellen gewohnt sind, ohne den Vorgang selbst überhaupt zu bemerken. Wir bemerken allenfalls das Verlangen, mit dem wir dieses Lichtbild wieder zurückholen wollen; beharren aber auf der Distanz, die nun einmal eingetreten ist und die sich weiterhin zeigt und ihr Recht behauptet, eine Distanz, hergestellt, um vergessen zu lassen, daß wir selbst diejenigen sind, die sich mit selbsterzeugten Illusionen täuschen.
    Sie gingen weiter den Strand entlang, in den unbrauchbaren Spuren der Vorgänger. Hin und wieder bemerkten sie andere Paare, nur wenige bei dieser Witterung, von denen sie sich fundamental zu unterscheiden meinten. Von weitem nahmen sie die Erbärmlichkeit der anderen wahr, ihre Hinfälligkeit in den wetterfesten Anoraks, die Begrenztheit der Vorsorgemaßnahmen. Sie behaupteten demgegenüber im Besitz der größeren Würde zu sein. Hüllten sich in ihre Isolation zu zweit; beschäftigt mit dem Versuch, ein eingebildetes Leuchten nach außen dringen zu lassen.
    Lange Wege am Strand. Das Bodenlose, in dem diese beiden Figuren den festen Punkt bildeten, die ruhende Mitte, von der alles ausging; Ordnung und Unordnung.
    Lange Wege am Strand. Angespülte Abfälle, Plastikflaschen und Kanister, glattgewaschenes Holz. Ein babyblauer Perlonpullover, in Sand und Tang gewiegt. Muschelschalen, die unter ihren Tritten zerknackten.
    Sie hielten inne, wo sie das Ufer übersät mit Kugeln fanden, Kugeln aus einer heuartigen Masse; Mila stieß sie mit der Schuhspitze an; sie waren leicht. Abgerissenes Seegras, dem Roß des Okeanos zum Fraß vorgeworfen, von der gleichmäßigen Peristaltik der Wellen zu Bällen gerollt, kleine Tischtennisbälle und größere Tennisbälle, perfekt gerundete Pferdeäpfel der See.
    Mila hob einen von ihnen auf. Sie roch daran, drückte das Heu ein wenig zusammen, präsentierte den Meeresapfel auf langen Fingern. Odilo kam näher und schlug ihr wie spielerisch unter die Hand. Er lachte; ein Siebenjähriger auf dem Schulhof, der sich etwas traut. Der Heuball fiel herunter zu den anderen seiner Kolonie, blieb dort ununterscheidbar liegen.
    Adriatisches Meer. Er murmelte es vor sich hin, Adria.
    Sie gingen in der Dämmerung auf die Mole hinaus. Ein ruhiger Abend, nur der langsame, wiegende Rhythmus der See. Der dunkle Grund saugte alle Farben ein. Das flaschengrüne, onyxgrüne Wasser verschattete sich zusehends, wurde hämatitgrau, metallen, düster, ölig. Unter ihnen das matte Schwappen, Klatschen, die ruhige Unruhe einer unpersönlichen, in Wellen geschüttelten Fläche.
    Vor ihnen die Weite, ein berückender Schlund, in den hinein der Blick sich auflöste. Salzwasser, das über die Felsen leckte, unstete Gischt, ein bläuliches Grau, das sich bei genauem Hinsehen mit dem Untergrund vermischte. Schäume, in denen die tiefhängende Wolkenschicht versickerte. Sie standen ruhig da, ungesichert im Formlosen, auf einem Felsvorsprung, dessen Schründe dieselbe zerklüftete Oberfläche aufwiesen wie das neblig bewegte Meer, wie die zerfetzte Wolkendecke, drei Schichten wie die Aufteilung eines klassischen Landschaftsgemäldes, ungestalte Materie, die Oben und Unten vertauschte, in der sich die Richtung verlor.
    Es begann wieder zu regnen. Das Meer schluckte die Tropfen auf, ein wirkungsloser, vielleicht auch ursacheloser, ewiger Regen.
    Im schmutzigen Grau begann es auf einmal zu schimmern, schwach, wie ein Widerschein. Sie vermeinte ein indirektes Licht zu sehen, von einer verborgenen Quelle auf die Oberfläche des Wassers geworfen, aber es kam von unten. Lichtgespinste unter Wasser, ein unwirkliches Licht, als sähe sie ihre Augenlider von innen. Sie sah ein Licht ohne überzeugende Ursache, ohne klare Herkunft, ein kühles Glühen ohne Mittelpunkt.
    Aber sie hatte die Augen weit

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