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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Poschmann
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haben. Hätte er gern alles gehabt?
    Er lag neben der Frau, neben der er hatte liegen wollen, er kam sich aufgeweicht, ausgesetzt vor. Wie die Kuppe des Cremestrangs, den er vorhin aus der Tube gedrückt hatte und der, als er losließ, wieder zurückgesaugt wurde. Ihm blieb ein zerkautes Dunkel, in dem es schwerfiel, ein Gefühl überdauern zu lassen. Entweder – oder, Spruch seiner Mutter. Was er fühlte, war Eifersucht, Eifersucht auf sich selbst. Konnte man das eine gelungene erste Nacht nennen?
    Mila war eingeschlafen, und er betrachtete die Haarsträhnen, die ihr tentakelglatt über die Wange fielen, von ihrem Atemhauch nicht bewegt. Er war enttäuscht, daß sie schlief, verlegen, weil sie schlief, er schämte sich, daß er enttäuscht war. Normalerweise wäre er jetzt aufgestanden, hätte sich an den Schreibtisch gesetzt und die Arbeit dazu genutzt, seine Festigkeit wiederzugewinnen, sich abzulenken. Er hätte zu Beginn mit unterschiedlich harten Bleistiften auf einen Fetzen Karton, auf ein Stück Obsttüte gepocht, um sich in Form, in Stimmung zu bringen. Statt dessen rückte er dichter an sie heran. Es konnte nicht gutgehen mit ihnen. Er mußte die Hände ins Kissen krallen, um sie nicht aufzuwecken.
    Sie hatten nachmittags lange auf dem Bett gelegen und zugesehen, wie die Bäume erst dunkelgrün, dann schwarz und flach wurden, Schattenrisse, die plötzlich, wenn es blitzte, wieder Volumen erhielten, die bei jedem Blitz nach vorn gerissen wurden, mit Abertausenden grellumrandeten Blättern wogten, um sofort darauf wieder zurückzufallen, in die Fläche, in die Dunkelheit.

18 Rückenfiguren
    Ich sehe Odilo vor mir, von hinten, wie er am Meer steht, immer sehe ich ihn von hinten, als hätte ich mich stets hinter ihm anstellen müssen, selbst für einen Blick aufs Meer hinter ihm anstellen, er trägt einen teuren Anzug, gute Schuhe, völlig falsch gekleidet für den Strand.
    Ich sehe die Szenerie mit seinen Augen, graues Meer, das ihn aufsaugt, Unorte eines grauen Strandes, Leere eines Windes, gegen den ihn nichts schützt, keine Gebäude, kein vernünftiges Kleidungsstück; er wappnete sich nicht, das war seine Methode, alles Bedrängende seiner Umgebung zu leugnen.
    Ihn immer nur von hinten zu sehen erzeugte in mir gewöhnlich den leichten Unmut, der damit einhergeht, von etwas Wesentlichem ausgeschlossen zu sein. Sein Egoismus, selbst in der Landschaftsbetrachtung. Nie standen wir zusammen und blickten über ein Feld, über ein Gewässer, er richtete es so ein, daß ich hinter ihm stand, er drehte sich weg, wandte sich einem anderen Objekt zu. Sonnenuntergang an der Kiesgrube: Wir standen nebeneinander am Ufer, vor uns die rote Sonne, und es hätte ein gemeinsames Erlebnis sein können, doch er wandte sich ab, studierte das Licht auf den Zweigen, die ins Wasser hingen, vielleicht sah er auch etwas ganz anderes, das ich nicht erkennen konnte. Den ganzen Tag über hatte ich unwillkürlich darauf gewartet, etwas mit ihm gemein zu haben, während er mir das Gefühl gab, auch während der gemeinsam verbrachten Zeit nicht wirklich anwesend, jedenfalls nicht bei mir zu sein. Ich blickte auf seinen Rücken, und auf einmal bekam ich Angst, daß er sich doch umdrehte, daß er sich plötzlich umdrehte und sein wahres Gesicht zeigte.
    Er interessierte sich nicht für die Aussicht ins Weite, er wollte die Empfindung, ausgesetzt zu sein, nur ungern vor sich selbst zugeben; eine winzige Figur auf einem Plateau vor dem ungleich größeren Meer, solch einem Gedanken konnte er nichts abgewinnen. Er bevorzugte innere Postkarten, das Wissen, irgendwo gewesen zu sein und einen Ort damit einzukassieren.
    Ihn immer nur von hinten zu sehen in diesen Momenten, die er in einer angestrengten Einsamkeit verbrachte: Die manchmal nur winzige Bewegung des Sich-Abwendens verhinderte, daß ich auch nur einmal sehen konnte, was in ihm vorging. Er verbarg sein Mienenspiel, er wollte in bestimmten Situationen, und sei es nur für Augenblicke, allein sein. So kann ich nur erahnen, nur notdürftig rekonstruieren, mit welchen Methoden er die peinliche Leere, von der er sich bedroht fühlte, zu bekämpfen suchte. Er floh sie nicht, im Gegenteil, manchmal schien es mir, daß er solche Momente, in denen er vom Eindruck der eigenen Nichtigkeit überwältigt zu werden drohte, geradezu mit Besessenheit herbeiführte. Dann aber ging es darum, die Leere eines solchen Moments zu besiegen, indem er sie in sich hineinnahm, beherrschte, auffraß.
    Sie waren

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