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Die Sonnenposition (German Edition)

Die Sonnenposition (German Edition)

Titel: Die Sonnenposition (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Poschmann
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die dem Körper Auftrieb verliehen. Wirbel, verhärtet, in denen sich die Natur bewegte. Strudelndes Wasser. Kreiselnde Luftmassen. Trudelnde Daunen.
    Vage Federfinger strichen durch die Luft, vornehm verlängerte Finger, die nichts bewegen, nichts greifen konnten. Sie streiften ihr Haar, umhüllten ihre Schultern. Fittiche umgaben sie, schwangen sich auf.
    Ein Abend, an den sie sich nicht erinnern wollte. Heruntergekommene Schwäne paddelten zwischen Plastikflaschen, bettelten majestätisch um Brot. Sie trug eine Pudelmütze und Fausthandschuhe, sie reichte noch nicht über das Geländer zum Fluß. Sie brach, vom dicken Handschuh beeinträchtigt, Stücke von den Graubrotschnitten ab, warf sie durch das Gitter ins Wasser, ein Schwan reckte den Hals nach ihr.
    Sie wußte nicht, ob sie ihn mochte.
    Kofferraumdeckel knallten zu, Scheinwerfer fraßen sich hinter ihr vorüber. Ein Abend, der nicht ausbrach, der immer Schwelle blieb, immer kurz davor. Sie hielt sich am Geländer fest, das Brot schwamm zwischen Abfällen, sie warf die Tüte hinterher, die weiß gebläht auf dem Wasser aufsetzte, der die Schwäne folgten.
    Schwäne, ihr dünkelhaftes Betreten von Grünanlagen. Sie hatten über Reisen gesprochen, über den Wunsch, eine undeutliche Sehnsucht in Bewegung zu verwandeln. Lauter zugvogelhafte Bestrebungen, flüsterten sie sich zu, die doch darauf hinausliefen, daß man gemeinsam voreinander floh. Der Wille zur Handlung war da. Sie kannten sich kaum.
    Mißvergnügt überflügelte Parkhäuser. Mauserzüge. Rastloser Flug. Erregtes Wasser unterhalb. Das Gehetzte ihrer Beziehung. Das Getriebene. Reisen: Sie reisten sofort.
    Daß jede Reise einer vergeblichen Sehnsucht nach innerem Leuchten stattgab. Die mechanische Erzeugung einer Bilderfolge, deren Zusammenhang sich im nachhinein als zwingend erwies. Ein Lichtbildervortrag, an dem doch das wichtigste die Lücken zwischen den einzelnen Dias waren, langes Warten an unwirtlichen Haltestellen, die Absturzkante vor dem Schlaf in unbekannten Räumen, der Atem fremder Passagiere im Sitz nebenan. Die Erfahrungen im nachhinein unbenennbar, weißes Rauschen, das sich sofort verflüchtigte, nachdem es für einen flackernden Moment gelungen war, mit gleichmäßigem Flügelschlag wie ein Dynamo Lichtenergie zu erzeugen, ein Glosen aus dem Körperinneren. Man schien immer heller zu werden, während es draußen immer dunkler wurde. Beides erfüllte sie mit Angst.
    Odilo knipste das Licht an und aus. Die Nachttischlampe schien ihm ins Gesicht, er rückte sie hin und her. Die Deckenleuchte wiederum war zu schummrig, so schummrig, daß man erst recht das Bedürfnis verspürte, ein Licht anzuschalten, diese Leuchte deprimierte ihn, das ganze Zimmer tat ihm nicht gut. Er löschte die Nachttischlampe, löschte die Deckenlampe. Es blieben die Neonröhren im Bad, bei offener Tür. Er sammelte seine Papiere ein, die über den Boden verstreut lagen, sortierte sie, brachte sie auf Kante.
    Draußen kam Wind auf, er war ihm zu laut. Er verriegelte das Fenster, sofort wurde es stickig im Raum.
    Er zog sich sein Unterhemd wieder an. Er fühlte sich seiner gewohnten Umgebung entkleidet. Sonst gaben ihm die Schränke, die Zimmerwände Halt. In diesem Hotelzimmer stand alles im Weg. Er stieß sich am Bett. Lief gegen den Sessel. Stolperte über Koffer: Er rannte gegen all das an. Ungeschickt. Seines Körpers nicht mächtig. Das Zimmer zu klein, die Welt widerspenstig, zu hart für ihn.
    Er legte sich wieder hin, nahm Milas Hand. Mit der anderen hielt er sich am Bettpfosten fest.
    Durchaus klammerte er sich an Dinge, aber sobald er sie brauchte, verloren die Dinge ihre Substanz. Sie entglitten ihm, korrodierten, verfaulten, versprödeten. Er fand nicht die Kraft, der rasenden Materialermüdung etwas entgegenzusetzen, ihr zumindest mit Skepsis zu begegnen.
    Ein helles Rechteck malte jetzt ein Waschbecken an die Wand. Er stand noch einmal auf, löschte es aus. Fand das Bett wieder, und erst jetzt verschmolzen die Wände mit dem Dunkel des Raums. In Gedanken versuchte er die Anlage des Zimmers nachzuvollziehen, strich er mit beiden Händen über die häßlichen Tapeten, tastete die Sperrholzschränke ab, nicht als wäre er blind, eher als suchte er ein Pferd zu beruhigen, das sich störrisch weigerte weiterzugehen, den Kopf aufgeworfen, die Nüstern gebläht, mit bebenden Flanken.
    Es wunderte ihn kaum, daß das Zimmer verschwand, jetzt, da Mila bei ihm lag. Man konnte, Spruch seiner Mutter, nicht alles

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