Die souveraene Leserin
Schriftstellerin, dachte sie, könnte es sich lohnen, das zu notieren.
»Wir müssen darauf achten, Ma’am, dass wir auch aus dem gleichen Gesangbuch singen.«
»In Wales, natürlich. Ganz gewiss. Wie geht es den Lieben daheim? Alle beim Schafscheren?«
»Nicht um diese Jahreszeit, Ma’am.«
»Aha. Auf der Weide.«
Sie setzte das breite Lächeln auf, welches das Ende der Besprechung anzeigte, und als er sich an der Tür zur Verneigung umwandte, hatte sie sich bereits wieder in ihr Buch vertieft, murmelte bloß ohne aufzusehen »Sir Kevin« und blätterte um.
Zur festgesetzten Zeit also reiste Ihre Majestät nach Wales, und dann nach Schottland und nach Lancashire und ins West Country, auf jener unerbittlichen landesweiten Wanderschaft, die das Los des Monarchen ist. Die Queen muss ihrem Volk begegnen, wie unbehaglich und gehemmt solche Treffen auch zu sein pflegen. Doch dabei konnte ihr Stab immerhin behilflich sein.
Um die Sprachlosigkeit zu umgehen, welche die Untertanen ihrem Souverän gegenüber gelegentlich befiel, hatten die zuständigen Hofbeamten praktische Tipps für zwanglose Konversation parat.
»Ihre Majestät wird Sie womöglich fragen, ob Sie einen weiten Weg hatten. Legen Sie sich eine Antwort zurecht und fahren Sie dann vielleicht fort, dass Sie mit dem Zug oder dem Auto gekommen sind. Dann könnte sie nachfragen, wo Sie das Auto geparkt haben und ob der Verkehr hier schlimmer sei als in – wo kamen Sie noch gleich her? – in Andover. Sehen Sie, die Queen interessiert sich für sämtliche Aspekte im Leben ihres Landes, und daher unterhält sie sich auch manchmal darüber, wie schwierig es heutzutage ist, in London einen Parkplatz zu bekommen. Damit könnten Sie dazu überleiten, welche Parkprobleme Sie in Basingstoke vielleicht haben.«
»Eigentlich in Andover, aber in Basingstoke ist es auch die Hölle.«
»Ganz sicher. Aber Sie verstehen schon die Richtung? Smalltalk.«
Waren diese Gespräche auch banal und alltäglich, so hatten sie doch den Vorteil, vorhersehbar und kurz zu sein und Ihrer Majestät zahlreiche Gelegenheiten zu bieten, sie noch abzukürzen. Die Begegnungen verliefen glatt und nach Plan, die Queen wirkte interessiert, ihre Untertanen kamen selten aus dem Tritt, und dass die vielleicht aufregendste und mit größter Vorfreude erwartete Konversation ihres Lebens sich letztlich nur um die vielen Baustellen auf der M6 drehte, fiel nicht weiter ins Gewicht. Sie hatten die Queen getroffen, die hatte mit ihnen gesprochen, und alle waren pünktlich wieder zuhause.
Diese Unterhaltungen liefen inzwischen so routiniert ab, dass die Hofbeamten sie kaum noch überwachten, sondern sich mit hilfsbereitem, wenn auch herablassendem Lächeln am Rande des Geschehens hielten. Erst als der Anteil der sprachlich gehemmten Bürger offensichtlich zunahm und immer mehr Menschen im Gespräch mit Ihrer Majestät ratlos wirkten, fingen sie an, dem Gesagten (oder nicht Gesagten) zu lauschen.
Es stellte sich heraus, dass die Queen, ohne ihre Untergebenen zu informieren, ihre langjährigen Gesprächseröffnungen – Erkundigungen nach Dauer des Arbeitsverhältnisses, Länge der Anreise, Herkunft – durch eine neue Strategie ersetzt hatte, nämlich durch die Frage: »Was lesen Sie denn gerade?« Darauf hatten nur wenige Ihrer Majestät treue Untertanen eine Antwort zur Hand (einer immerhin versuchte es: »Die Bibel?«). Daher das unbehagliche Schweigen, das die Queen meistens mit den Worten »Ich lese gerade…« brach, wobei sie manchmal sogar in ihre Handtasche griff und einen Blick auf das glückliche Buch gewährte. Es konnte kaum überraschen, dass die Audienzen dadurch länger und ungeordneter verliefen und dass eine wachsende Zahl ihrer liebenden Untertanen im unerfreulichen Bewusstsein abzogen, keine gute Figur gemacht zu haben, und gleichzeitig mit dem Gefühl, dass ihre Queen ihnen irgendwie ein Bein gestellt hatte.
Nach Dienstschluss besprechen Piers, Tristram, Giles und Elspeth, alle ergebene Diener Ihrer Majestät, die Lage: »Was lesen Sie gerade? Ich meine, was ist das denn für eine Frage? Die meisten Menschen lesen überhaupt nichts, die armen Würstchen. Aber wenn sie das sagen, wühlt Madam in ihrer Handtasche nach einem Buch, das sie gerade durch hat, und schenkt es ihnen.«
»Das sie dann, ohne zu zögern, bei eBay verkaufen.«
»Genau. Und waren Sie in letzter Zeit mal bei einem königlichen Besuchstag dabei?«, mischt sich eine der Hofdamen ein. »Es hat sich nämlich
Weitere Kostenlose Bücher