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Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)

Titel: Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edward O. Wilson
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all diese Schritte, die die Art zur Eusozialität führten, auch von modernen Schimpansen und Bonobos vollzogen worden. Doch dank unserer einzigartigen Präadaptionen waren wir in der Lage, diese entfernten Verwandten weit hinter uns zu lassen. Jetzt war die Bühne bereit dafür, dass der afrikanische Primat mit dem größten Gehirn den alles entscheidenden Sprung hin zu seinem ultimativen Potenzial machte.

6.
KREATIVE KRÄFTE
    Wären außerirdische Wissenschaftler vor drei Millionen Jahren auf der Erde gelandet, so hätten sie gestaunt über die Honigbienen, die hügelbauenden Termiten und die Blattschneiderameisen, deren Kolonien damals die großartigsten Superorganismen der Insektenwelt waren und mit großem Abstand die komplexesten und ökologisch erfolgreichsten sozialen Systeme der Erde.
    Die Besucher hätten auch die afrikanischen Australopithecina untersucht, eine seltene zweibeinige Primatenart mit Gehirnen in der Größe von Affenhirnen. Kein besonders großes Potenzial hier oder irgendwo sonst bei den Wirbeltieren, hätten die Besucher gemutmaßt. Immerhin liefen Geschöpfe dieser Größe schon seit über 300 Millionen Jahren auf der Erde herum, und besonders viel war nicht passiert. Die eusozialen Insekten schienen das Beste, wozu der Planet in der Lage war.
    Stellen wir uns weiter vor, dass die Außerirdischen nach Erfüllung ihrer Mission wieder abreisten. Die Biosphäre der Erde hatte sich stabilisiert, soweit sie sehen konnten, und in ihrem Fahrtenbuch stünde der Eintrag: «Wahrscheinlich passiert in den nächsten Jahrmillionen nichts besonders Wichtiges. Die eusozialen Insekten sind seit über 100 Jahrmillionen der Gipfel der sozialen Evolution, sie dominieren die irdische Welt der Wirbellosen, und das wird wohl noch 100 Jahrmillionen so weitergehen.»
    Doch als sie weg waren, geschah etwas wahrhaft Außerordentliches. Das Gehirn von einem der Australopithecina begann schnell zu wachsen. Bei dem außerirdischen Besuch umfasste es 500 bis 700 Kubikzentimeter. Zwei Millionen Jahre später war es auf 1000 Kubikzentimeter angewachsen. In den nächsten 1,8 Millionen Jahren schoss es auf zu 1500 bis 1700 Kubikzentimetern, also zum Doppelten des alten Australopithecina-Gehirns. Da war er, der Homo sapiens , und seine soziale Eroberung der Erde stand unmittelbar bevor.
    Würden Nachkommen der damaligen Außerirdischen, nachdem sie die drei Millionen Jahre seit dem letzten Mal mit interessanteren Sternensystemen verbracht hätten, heute wieder einmal die Erde besuchen, so würde die irdische Situation sie sicherlich verblüffen. Das beinahe Unmögliche war geschehen. Eine der zweifüßigen Primatenarten von damals hatte nicht nur überlebt, sondern eine primitive, auf Sprache gründende Zivilisation entwickelt. Und genauso überraschend, ja gar verwirrend wäre die Tatsache, dass diese Primatenart dabei war, ihre eigene Biosphäre zu zerstören.
    Trotz ihrer winzigen Biomasse – alle ihre über sieben Milliarden Vertreter ließen sich in einen Würfel mit zwei Kilometer Seitenlänge zusammenstapeln – war die neue Art zu einer geophysikalischen Kraft geworden. Ihre Vertreter hatten aus der Sonne und aus Erdöl Energie gewonnen, einen Großteil des Süßwassers für ihren eigenen Gebrauch abgezweigt, die Ozeane übersäuert und die Atmosphäre womöglich irreversibel verändert. «Da waren ja fürchterliche Pfuscher am Werk», könnten die Besucher befinden. «Wir hätten früher wiederkommen und diese Tragödie verhindern sollen.»
    Das Entstehen der modernen Menschheit war ein reiner Zufall – für unsere Art eine Zeitlang ein Glücksfall, für die meisten anderen Lebensformen aber ein einziges Unglück. Alle Präadaptionen, die ich als Evolutionsschritte auf dem Weg zum Menschen aufgezählt habe, hatten, wenn sie in der richtigen Reihenfolge auftraten, das Potenzial, eine Art großer Tiere an die Schwelle zur Eusozialität zu führen. Jede dieser Präadaptionen wurde von dem einen oder anderen Forscher als Schlüsselereignis benannt, das die frühen Hominiden in den Status der heutigen Menschheit katapultierte. Fast all diese Vermutungen sind teilweise korrekt. Keine aber ist sinnvoll, wenn sie nicht Teil einer Ereignisfolge ist, und zwar genau einer von vielen möglichen Ereignisfolgen.
    Aber welche evolutionäre Kraft half nun unserer Abstammungslinie, ihren Weg durch das Labyrinth der Evolution zu finden? Was in der Umwelt und den damals vorherrschenden Lebensumständen lenkte die Art durch die

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