Die soziale Eroberung der Erde: Eine biologische Geschichte des Menschen (German Edition)
dass es für alle akzeptabel ist: Sonst würden die Bindungen, die sie zusammenhalten, geschwächt. Außerdem konkurrieren die Gruppenmitglieder unausweichlich miteinander – um einen Status, der ihnen einen größeren Futteranteil sichert, um den Zugang zu einem möglichen Geschlechtspartner und um einen bequemen Schlafplatz. All diese Faktoren verleihen denen einen Vorteil, die die Absichten der anderen erkennen, sich besser Vertrauen und Zusammenhalt verschaffen und mit Rivalen gut umgehen können. Soziale Intelligenz hatte daher immer eine hohe Priorität. Ein geschärfter Sinn für Empathie kann alles verändern, denn er befähigt dazu zu manipulieren, Kooperation zu erwirken oder auch zu betrügen. Um es so einfach wie möglich zu sagen: Soziale Gewitztheit lohnt sich. Ganz zweifellos konnte eine Gruppe kluger Vormenschen eine Gruppe plumper, ignoranter Vormenschen besiegen und vertreiben, so wie es heute bei Armeen, Firmen und Fußballmannschaften der Fall ist.
Die Kohäsion, die sich zwangsläufig aus der Konzentration von Gruppen an geschützten Orten ergab, war mehr als nur ein Schritt im Labyrinth der Evolution. Sie war, wie ich später ausführen werde, das Ereignis, das die Zielgerade zum modernen Homo sapiens eröffnete.
5.
DER FADEN DURCH DAS LABYRINTH DER EVOLUTION
Wie alle großen Probleme der Wissenschaft stellte sich der evolutionäre Ursprung des Menschen zunächst als Gewirr teilweise sichtbarer und teilweise nur vermuteter Stadien und Prozesse dar. Einige davon spielten sich in sehr weit zurückliegenden Phasen der geologischen Zeit ab und lassen sich vielleicht nie mit Gewissheit erklären. Ich habe dennoch die Teile des Epos zusammengestellt, über die man sich, wie ich meine, in der Forschung einig ist, und den Rest mit begründeten Vermutungen ergänzt. Über den folgenden groben Ablauf scheint mir Konsens zu bestehen, zumindest ist er mit den bestehenden Beweisen in Einklang zu bringen.
Insgesamt scheint mir, wir können jetzt vernünftig erklären, warum die Menschheit einzigartig ist, warum es zu etwas Vergleichbarem kein zweites Mal gekommen ist und warum es damit so lange gedauert hat. Schuld daran ist ganz einfach die extrem niedrige Wahrscheinlichkeit, dass die nötigen Präadaptionen überhaupt auftreten. Jeder dieser Evolutionsschritte war ja für sich genommen eine echte Adaption. Jeder erforderte eine bestimmte Abfolge einer oder mehrerer vorausgehender Präadaptionen. Der Homo sapiens ist die einzige große Säugetierart – also groß genug, um ein so großes Gehirn wie der Mensch ausbilden zu können –, die im Labyrinth der Evolution jede einzelne dieser glücklichen Kehren genommen hat.
Die erste Präadaption war das Leben auf dem Land. Technologischer Fortschritt, der über abgeschlagene Steine und hölzerne Pfeile hinausgeht, setzt den Gebrauch von Feuer voraus. Ein Schweinswal oder ein Polyp kann ein noch so brillanter Denker sein, aber er kann keinen Blasebalg erfinden und nicht schmieden. Und er kann keine Kultur entwickeln, die ein Mikroskop baut, die oxidative Chemie der Photosynthese erschließt oder die Saturnmonde fotografiert.
Die zweite Präadaption bestand im Heranwachsen zu einer Körpergröße, die innerhalb der Erdgeschichte nur ein Bruchteil landbewohnender Tierarten erreichte. Wiegt ein adultes Tier weniger als ein Kilogramm, dann ist sein Hirnvolumen zu stark eingeschränkt für höher entwickeltes vernünftiges Denken und Kultur. Selbst zu Land wäre dieser Körper nicht in der Lage, Feuer zu machen und es zu beherrschen. Das ist einer der Gründe, weshalb Blattschneiderameisen in den zwanzig Millionen Jahren ihrer Existenz keine weiteren bedeutenden Fortschritte machen konnten, obwohl sie, abgesehen vom Menschen, die komplexeste aller Arten sind, die auf Grundlage der Instinkte sogar Landwirtschaft betreibt und in selbständig entworfenen Städten mit Klimaanlagen lebt.
Die nächste Präadaption war das Aufkommen greiffähiger Hände mit weichen, spatelförmigen Fingerkuppen, die lose Gegenstände halten und manipulieren konnten. Dieses Merkmal unterscheidet die Primaten von allen anderen landbewohnenden Säugetieren. Klauen und Krallen, die sonst übliche Ausrüstung dieser Arten, eignen sich nicht für die Entwicklung von Technologien. (Achtung, alle Erfinder von Science-Fiction über Erdinvasoren, bitte denkt daran, eure Aliens mit weichen, greiffähigen Händen oder Tentakeln oder sonstigen dicken, fleischigen Gliedmaßen auszustatten.)
Um
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