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Die spaete Ernte des Henry Cage

Die spaete Ernte des Henry Cage

Titel: Die spaete Ernte des Henry Cage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Abbott
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Henry folgte den Blicken der beiden über die Terrasse und erkannte, dass ihr üblicher Tisch in der ersten Reihe einem anderen Paar gegeben worden war.
    »Oje«, meinte Daphne. »Wir sollten besser sehen, ob wir das irgendwie klären können.«
    Henry sah zu, wie die beiden abzogen, um am Tisch des Maître ihr Platzrecht zu verteidigen. Ken hatte sich beim Tennisspielen den Knöchel verstaucht und trat als Letzter an den Tisch, wie ein Schaulustiger bei einem Unfall, der auf alle neidisch ist, die schon von Anfang an dabei waren.
    Eine Untersuchung war im Gange, es gab Entschuldigungen,jemandem war ein Fehler unterlaufen. Der Maître und vier einheimische Kellner umringten das Paar. Und dann ließ sich über die leise Unterhaltung der Dinierenden und das leichte Trällern des Sängers hinweg der Nachhall einer älteren Gesellschaftsordnung vernehmen, der Klang einer weniger egalitären Zeit, Kens wütende Stimme – »Und warum zum Henker haben Sie dann den Tisch weggegeben?«
    »Ken, es reicht. Hör auf, hör sofort auf damit!«
    Daphne packte Ken am Arm und zog ihn zu einem freien Tisch eine Reihe weiter hinten.
    Der Gesang setzte wieder ein, die Kellner zerstreuten sich, es gab keinerlei offene Anzeichen von Aufregung, doch der Schaden war angerichtet. Nicht bei den Kellnern, deren ruhige Gleichgültigkeit keinerlei Kratzer aufwies, aber Daphnes Ansehen war durch den Ärger beschädigt. Ihr Rang im Speisesaal war durch Kens Ausfall unterminiert worden. Henry, selbst gerade ein frisch gebackener Absolvent der Schule der Demütigung, bewunderte ihren Mut, wie sie lächelte und ihren neuen Nachbarn in der zweiten Reihe zunickte; doch als der Sommelier von Ken mit einem mürrischen »Dasselbe wie immer« fortgeschickt wurde – da war das eine Missetat zu viel, und Daphne stand auf, nahm ihre Tasche und verließ den Saal.

    Henry erinnerte sich an einen Flughafen vor langer Zeit. Sie waren auf dem Rückflug von einem Portugalurlaub gewesen, und Nessa und Tom hatten Plätze zwanzig Reihen hinter seinem bekommen. Henry hatte einen ziemlichenWirbel gemacht und die junge Frau beim Einchecken zum Weinen gebracht. Schließlich hatte man ihnen drei Plätze nebeneinander angeboten, doch Nessa hatte sich geweigert, sie anzunehmen, und hatte sich mit dem verwirrten Tom hinten ins Flugzeug gesetzt.

    Henry kehrte am Donnerstag, einen Tag vor Silvester, aus Barbados zurück. Er war zu der großen Feier im Millenium Dome eingeladen worden, hatte sich aber entschuldigt. Zwei seiner Klienten waren große Sponsoren, und Henry war bei vielen Planungstreffen dabei gewesen. Er hatte diese Treffen nicht sonderlich anregend gefunden. Das Projekt brauchte ein vorsitzendes Genie, einen Diktator. So gab es zu viele Chefs, zu viele verängstigte Personen, die umherhuschten und versuchten, niemandem auf die Füße zu treten. Statt sich also auf den Weg nach Greenwich zu machen, wollte er den Abend vor dem Fernseher verbringen und gegen dreiundzwanzig Uhr zu Bett gehen. Schon seit Langem blieb er nicht mehr bis zu den Mitternachtsglocken auf. Solche Nächte gehörten der Vergangenheit an: wilde Abende in kleinen italienischen Restaurants, Brötchen, die von Tisch zu Tisch flogen, feuchte Küsse unbekannter Frauen, wenn die Uhr Mitternacht schlug. Und dann draußen auf der Straße Nessa, die auf der Haube eines langsam fahrenden Wagens auf der King’s Road stand und ihm über die Köpfe der Menge hinweg Liebesworte zuwarf.
    Auf seinem Anrufbeantworter war eine Nachricht. Er wurde eingeladen, sich das Feuerwerk von der Wohnungeines Freundes aus am Fluss in der Nähe der Southwark Bridge anzusehen. Nichts Besonderes, irgendwann nach elf, bring eine Flasche mit.
    Mit viel Glück fand er auf der King’s Road ein Taxi, das gewillt war, ihn so nahe wie möglich zur Upper Thames Road zu fahren.
    »Wird nicht einfach, die haben alles abgesperrt. Wir werden rund um die Häuser müssen. Vielleicht schaffen wir’s bis zur U-Bahn Mansion House.«
    Gegen halb elf waren bereits Tausende unterwegs, die meisten davon auf dem Weg zum Fluss. Henrys Taxi fuhr nordwärts, gegen die Flut auf die Marylebone Road. Hier war der Verkehr noch dünn und lief zügig. Nur an den Ampeln konnte man erkennen, dass es eine besondere Nacht war. Die üblichen Rennen, wer als Erster wegkam, fanden nicht statt, Autofenster wurden heruntergekurbelt, und die Fahrer nutzten die Gelegenheit, sich gegenseitig zu grüßen. Ein Kleinbus hielt neben Henrys Taxi. Die Fahrgäste waren

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