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Die spaete Ernte des Henry Cage

Die spaete Ernte des Henry Cage

Titel: Die spaete Ernte des Henry Cage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Abbott
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nächsten Tag war er schon fast wieder der Alte.
    »Ihre Freundin ist hübsch.« Marlene, die irische Krankenschwester, richtete alles her, um ihn zum Röntgen nach unten zu fahren.
    »Ganz nett, ja.«
    »Na, Sie sind mir vielleicht ein Schmeichler.«
    Colin bekam die Röntgenaufnahmen zu sehen. Er hatte sich beide Knochen des linken Unterarms gebrochen. Jetzt wurden die Brüche von zwei Stahlplatten gehalten; die Schrauben waren gut zu erkennen. Der Arzt war zufrieden. Es waren glatte Brüche. Er rechnete nicht mit Komplikationen. Wenn die Schwellung abgeklungen war, kam der Gips dran; den würde Colin sechs Wochen tragen müssen.
    Auf der Station hatte er um Schmerzmittel gebeten und geschlafen. Als er aufwachte, war der Nachmittag vergangen, und Eileen saß neben seinem Bett. Sie hatte Weintrauben mitgebracht.
    »Wie originell.«
    »Kernlos. Die sind leichter zu essen, dachte ich.«
    »Eine Hand hab ich noch – und spucken kann ich auch noch.«
    »Entschuldigung.«
    Langsam, immer mit der Ruhe; was hatte der Irrenarzt in der Anstalt gesagt? Bis zehn zählen und an etwas Nettes denken – Himmel, sieben Jahre Ausbildung für solche Ratschläge. Reg die Perle jetzt nur nicht auf. Locker bleiben.
    »Tut mir leid. Sind die Schmerzen.«
    Schau sie dir mal an, der fließen gleich die Augen über.
    »Komm morgen wieder, dann geht’s mir besser. Tut mir leid und so weiter.«
    Colin schloss die Augen; er hörte Papier rascheln, als sie die Trauben auf den Nachttisch stellte. Hatte sie Auf Wiedersehen gesagt? Am nächsten Tag konnte er sich nicht mehr daran erinnern.

17.
    Mrs Abraham hatte ihre Routine. Montags wusch und bügelte sie immer. Sie kam gern um Viertel vor neun, machte die Waschmaschine an und setzte sich mit ihrer
Daily Mail
und einem Kaffee an den Küchentisch, bis ein Piepsen aus der Waschküche ihr verriet, dass die erste Maschine fertig war. Sie freute sich auf diesen ruhigen Einstig in die Arbeitswoche. Montag war der einzige Tag, an dem sie ihre Zeitung nicht im Bus las. Sie hatte sich ein Leben voller sorgfältig geplanter kleiner Belohnungen eingerichtet, und sie kannte den Wert von Freuden, die man hinauszögert.
    Sie hielt mit ihrer Entrüstung nicht hinter dem Berg, als sie Henry noch im Bademantel am Küchentisch vorfand – einen dampfenden Kaffee griffbereit, die
Times
auf dem Tisch ausgebreitet. »Was machen Sie denn hier?«
    »Guten Morgen, Mrs Abraham.«
    Henry hätte beinahe gesagt, dass dies immer noch sein Haus sei und er sogar das Recht habe, an seinem eigenenTisch zu frühstücken, doch ließ er Vorsicht walten. Er spürte, dass seine unerwartete Anwesenheit Mrs Abraham den Vormittag verdorben hatte. Henry, der selbst ein Mann mit festen Vorlieben war, respektierte auch die Ansprüche anderer. Außerdem war sie sehr gut darin, seine Hemden zu bügeln, klug genug, um zu wissen, dass man den Kragen von den Spitzen aus bügelte. Die Hilfe einer solchen Fachkraft durfte man heutzutage nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.
    »Eine Ausnahme, tut mir leid. Morgen ist wieder alles beim Alten.«
    Am nächsten Tag traf Henry fünf Minuten vor der Öffnungszeit an der Brasserie ein. Er linste hinein und sah die Kellnerinnen im Dunkeln stehen. Er versuchte, Maude auszumachen, doch die Gestalten waren undeutlich, in dem Dämmerlicht erkannte er nur die weißen Schürzen. Henry hatte eine Vorahnung; Maude hatte wohl gekündigt, und er würde sie nie wiedersehen. Den Weg zu ihrer Wohnung fand er zwar, aber er würde es gar nicht erst versuchen. Wenn Maude weggegangen war, dann war das ein deutliches Signal, dass sie ihn nicht sehen wollte; und er würde nirgendwo hingehen, wo er nicht erwünscht war.
    »Ist Maude heute da?«
    Henry bemühte sich, die Frage ganz beiläufig klingen zu lassen, hatte seine Schritte im Voraus geplant. Er kam sich vor wie in einem Film, die Tasse halb an den Mund geführt – ein weltgewandter, lächelnder Mann, der kurz innehält und die Art von höflicher Frage stellt, die man eben so stellt –, nichts weiter als ein Stammgast, der sichnach einer ihm vertrauten Kellnerin erkundigt, ein paar freundliche Worte fallen lässt, während er die Rechnung begleicht.
    »Sie arbeitet nicht mehr hier. Sie hat gestern angerufen.«
    »Ach.« Er spürte ein nervöses Ziehen im Magen, nahm aber einen Schluck Kaffee, um damit zu zeigen, dass diese Nachricht unbedeutend war. »Ich hoffe, sie hat etwas Aufregendes gefunden.«
    »Das glaube ich nicht.«
    Er gab mehr Trinkgeld als sonst.

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