Die spaete Ernte des Henry Cage
vorbei, dachte er, als er davonfuhr. Sie wird bestimmt nicht mit irgendeinem dahergelaufenen Großvater schlafen.
Als er durch das kleine Städtchen fuhr, entdeckte er einen Zeitungsladen mit Spielzeug im Fenster. In der Hoffnung, etwas für Hal zu finden, hielt er an. Er versuchte, sich vergeblich daran zu erinnern, womit Tom als Vierjähriger gespielt hatte. Mit einer Eisenbahn? Oder Lego? Wie sich herausstellte, war das völlig egal, denn die eigentliche Spielzeugabteilung im ersten Stock hatte geschlossen. An Sonntagen verkauften sie nur Strandsachen – Bälle, Winddrachen, Krabbenschnüre und Käscher. Henry erstandeinen Drachen, der anders aussah als alle, die er je gesehen hatte, wobei ihm der Verkäufer, der noch keine zwanzig war, versicherte, damit würde er sicher einen Volltreffer landen.
Henry wäre am liebsten ins Pub gegangen und hätte sich zur Beruhigung einen doppelten Whisky genehmigt, wollte bei seiner Ankunft aber nicht nach Alkohol riechen. Das sollte nicht seine Duftnote sein, wenn er Hal kennenlernte.
Kurz vor Toms Dorf hielt Henry am Straßenrand. Er zitterte. Er hoffte inständig, seine Wut im Zaum halten zu können. Er schloss den Wagen ab, nahm den Drachen und ging ins Dorf.
Tom und Hal standen am Fenster im oberen Schlafzimmer und hielten Ausschau nach einem Mercedes.
»Nehme ich jedenfalls an«, meinte Tom. »Er hat immer einen Mercedes gefahren.«
»Ich glaub nicht, dass er ein Auto hat, Daddy.«
In diesem Augenblick sah Tom in der Entfernung seinen Vater. Er erkannte ihn sofort: derselbe schmale Körperbau, die Haare noch immer dunkel und ein wenig zu lang, genau, wie Tom ihn in Erinnerung hatte. Wie das bei großen Menschen häufig vorkommt, ging Henry mit gesenktem Kopf, so, als sei der Untergrund trügerisch, seine Schritte wirkten zögerlich; Tom sah, dass Henry langsam alt wurde, und bei dieser Erkenntnis musste er nach Luft schnappen.
»Da kommt er – das ist er.«
Hal war verschwunden – er sprang zur Tür hinausund rannte die Straße entlang, ohne auf die elterlichen Mahnungen zu hören. Vom Fenster aus sah Tom, dass die Straße frei war, und widerstand dem Drang, seinem Sohn hinterherzurufen. Er sah den kleinen Jungen zu dem Mann laufen und stehen bleiben. Er sah, wie sich der Mann hinkniete, den Drachen vorsichtig auf den Boden und dem Jungen eine Hand auf die Schulter legte. Sie sprachen miteinander, der Junge blieb ungewöhnlich ruhig, und eine Frage folgte der nächsten. Als der Mann schließlich aufstand, hielt der Junge ihm die Hand hin und führte ihn zum Haus.
15.
»Opa, magst du Biogemüse?«
Der Junge hatte darauf bestanden, dass Henry beim Essen neben ihm saß, und hatte die ganze Mahlzeit über fröhlich geplappert.
»Das ist gesund, weißt du?«
Henry hatte eine Geschichte erzählt. Als er einmal mit Nessa im Urlaub in Venedig gewesen war, hatten sie zu Mittag neben einer großen Gruppe von Amerikanern gesessen, Angehörige der Schickeria. Die Gastgeberin war eine gewisse Nan Soundso – Henry hatte schon mal ein Foto von ihr in Zeitschriften gesehen. Die Frauen waren alle dünn und lebhafter als ihre Männer. Sie waren bei der sechsten Karaffe Wein angekommen und unterhielten sich ungezwungen. Sie sprachen über Reichtum, und ein Engländer hatte allen Ernstes behauptet, jedenfalls war es Henry so vorgekommen: »Der größte Unterschied zwischen den Reichen und den Armen ist die Tatsache, dass die Reichen das kleinere Gemüse essen.«
Tom und Jane hatten gelacht, doch Hal war ganz durcheinander. »Entschuldigung, Opa, wir essen kleines Gemüse, aber wir sind nicht reich, oder, Daddy?«
Nach dem Essen waren sie mit dem Drachen zum Strand bei Salthouse gefahren. Der Wind war genau richtig gewesen, und der Drachen war so gut geflogen, wie der Verkäufer versprochen hatte. Stillschweigend waren sie übereingekommen, den Nachmittag im Freien zu verbringen. Als der Wind nachließ, beauftragte Hal seinen Großvater, nach den runden weißen Kieseln zu suchen, die er sammelte. Auf dem Heimweg hatten sie einen Umweg gemacht, um Henry den Ententeich neben der Straße zu zeigen.
»Pass auf die Autos auf«, hatte Tom gesagt.
Am Wasser standen mehrere Wagen, ab und zu ging ein Fenster auf, und auf dem Teich landete eine Handvoll Brotkrümel. Die satten Schwäne fraßen nur das, was ihnen direkt vor den Schnabel fiel, den Rest überließen sie den Enten und Möwen, die sich darum stritten.
Dann fuhren sie zurück zum Tee.
»Warum gehst du nicht schon mit
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