Die spaete Ernte des Henry Cage
einem bekannten Song von Gershwin oder Cole Porter auf die Tanzfläche locken lassen, erkennt man leicht an ihrer mangelnden Eleganz. Die Einheimischen strengen sich richtig an, die Männer tragen Anzüge, die Frauen Partykleider aus Chiffon und Satin.
Das Ergebnis wirkt eher mutig als beeindruckend. Designerkleider aus früheren Epochen, sorgsam in Kleidersäcken gehütet, hängen unvorteilhaft an Körpern, die lange nicht so sorgsam gehütet wurden. Einige der Paare haben offensichtlich früher mal an Tanzwettbewerben teilgenommen, und noch heute ist die Tanzfläche für sie eine Wettkampfarena. Sie drängen sich auf der beengten Tanzfläche vor und durchleben noch einmal ihre Ballsaaltriumphe.
Jack und Nessa waren jünger als die anderen Tänzer und gehörten nicht zur Clique der Stammgäste. Sie setzten sich in einigem Abstand zu den Musikern, damit sie sich in den Tanzpausen unterhalten konnten. In letzter Zeit tanzten sie nur noch selten. Als sie vor zwei Jahren anfingen, hierherzukommen, hatten sie noch jede Runde mitgemacht. Heute schaffte Nessa an einem guten Abend vielleicht jeden vierten Tanz.
»Ist nicht so schlimm, Jack«, sagte sie, als sie sich hinsetzten, »dann haben wir mehr Zeit zum Trinken.«
Eine Kellnerin war ihnen mit einer Flasche Rotwein an den Tisch gefolgt, eine Studentin, die halbtags hierarbeitete. Jack kannte sie. In den Sommerferien hatte sie manchmal im Café ausgeholfen.
»Hi, Kara, wie geht’s denn so?«
Er bemerkte die feuchten Flecken auf dem knöchellangen Rock der jungen Frau.
»Könnte besser sein, hm?«
Die junge Frau runzelte die Stirn und mühte sich mit dem Korkenzieher ab. Der Korken weigerte sich, die Flasche zu verlassen.
»Dass mir das passieren muss. Ich kriege schon einen roten Kopf.«
»Keine Eile, wir laufen nicht weg.«
Vierzig Kilometer entfernt hatte auch Henry keine Eile. Das Taxi, das ihn vom Flughafen in Miami ins Hotel bringen sollte, steckte auf der Interstate 95 fest.
»Wie weit ist es noch?«
»Ach, etwa die halbe Strecke haben wir schon, Sir. Wenn wir an den Abzweigungen in Fort Lauderdale vorbei sind, wird’s besser. Machen Sie es sich bequem.«
Henry schloss die Augen. Es war ein Uhr morgens Londoner Zeit, und er war müde. Als sie schließlich im Hotel ankamen, hatte er eine Stunde geschlafen.
»Wir sind da, Sir.«
Noch ein wenig benebelt, hörte Henry eine weitere Stimme. Ein Mann in Livree öffnete die Wagentür.
»Willkommen im Ritz Carlton, Sir.«
Überraschend warme Nachtluft drang ins Wageninnere. Unter dem überdachten Säulengang des Hotels wartetenAutos darauf, vom Personal zu ihren Parkplätzen gefahren zu werden. Die Besitzer, die ihre Plätze im Restaurant nicht verlieren wollten, hatten sie einfach mit offenen Türen und brennenden Scheinwerfern stehen lassen und sich ihre Parktickets geschnappt. Über das Brummen der laufenden Motoren hinweg konnte Henry Musik hören – ein Foxtrott bildete die kuriose Begleitmusik zu den eilenden Parkwächtern, die einen Wagen abstellten und schnell den nächsten holten. Henry bezahlte das Taxi und folgte einem Hotelpagen verschlafen zur Rezeption.
An der Theke hatte sich eine Schlange gebildet, und Henry schlenderte in die Lounge hinüber. Weiß behaarte Köpfe hüpften auf der Tanzfläche auf und ab; Henry drehte sich um. Ein paar Minuten später führte man ihn in eine Suite im Erdgeschoss. Er habe direkten Zugang zum Strand, teilte man Henry mit, doch er war zu müde, um die Vorhänge aufzuziehen. Er würde das am Morgen nachprüfen. Während Henry in traumlosen Schlaf sank, erhoben sich Jack und Nessa etwas unsicher zu einem letzten Walzer.
Um halb sechs wurde Henry wach. Er zog einen Bademantel über und trat auf die Terrasse hinaus. Die Luft war feucht, und eine steife Brise von Süden her zerzauste die Palmen auf dem schmalen Rasenstreifen, der ihn vom Strand trennte. Henrys Zimmer ging nach Osten, er setzte sich auf einen Terrassenstuhl und wartete auf den Sonnenaufgang, doch immer wieder nickte er ein und schreckte hoch. Um acht Uhr wurde er von der hellen Sonne geweckt, die ihm in die Augen schien. Henryduschte, zog T-Shirt und Shorts an und ging frühstücken. Das Restaurant war fast leer, man führte ihn zu einem Tisch am Fenster. Henry konnte auf den tiefer gelegenen Swimmingpool sehen. Er beschloss, dort den Vormittag zu verbringen und dann nach Nessa zu suchen.
Am Büfett nahm er sich ein Schälchen Blaubeeren und ein Croissant, trug die Teller zu seinem Platz
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