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Die spaete Ernte des Henry Cage

Die spaete Ernte des Henry Cage

Titel: Die spaete Ernte des Henry Cage Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Abbott
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Als er hinausging, sah er die Freundin des Schlägertyps allein an einem Fenstertisch sitzen. Er wandte sich ab, doch da hatten sich ihre Blicke bereits gekreuzt. Er war nicht sicher, aber er glaubte, ein Lächeln gesehen zu haben.
    Draußen quoll eine Menschenmenge aus der U-Bahn . Menschen mit schnellen Schritten und einem Ziel. Henry wurde von diesem Strom erfasst, bis die Ampel an der Lower Sloane Street die Flut aufhielt und er sich einen Weg auf den Platz hinaus bahnen konnte. Er ging zum Brunnen. Das Becken war für den Winter geleert worden, doch es hatte genug geregnet, um den Boden mit einer Suppe aus Blättern, Kippen, Papiertüten und weiß Gott was noch allem zu füllen.
    Ein Streifenwagen drängelte sich mit jaulender Sirene um den Platz. Der Vormittag zog sich in die Länge. Henry beschloss, spazieren zu gehen, bis die Buchhandlungen öffneten. Dort würde er, wenn schon keinen Trost, so doch zumindest Ablenkung finden.
    Als er die King’s Road an der Kreuzung Cadogan Gardens überquerte, hörte er Männer schreien. Ein Lieferwagenfahrer, jung und groß, wechselte Beleidigungen mit einem Taxifahrer, klein und alt. Die beiden standen neben ihren Fahrzeugen mitten auf der Straße – der Verkehr staute sich hinter ihnen, Hupen dröhnten.
    »Man parkt nicht auf den Zickzacklinien, du Arsch – du bescheuerter Blödmann.«
    »Warum verpisst du dich nicht einfach?«
    Henry schaute zu, und plötzlich wurde aus der Schimpferei eine Rangelei, der Größere hielt den Taxifahrer im Schwitzkasten und schrie ihn die ganze Zeit über an: »Man parkt nicht auf dem Zickzackstreifen, du bescheuertes Arschloch.« Er riss den kleineren Mann auf und ab; der Taxifahrer bekam keine Luft mehr und hatte aufgehört, etwas zu erwidern.
    Henry beobachtete die Menschen ringsum. Die meisten Männer grinsten, auch ziemlich viele Frauen. Stell sich nur mal einer vor, wie witzig das ist, wenn der große Kerl dem Kleinen das Genick bricht! Das wäre der Brüller! Henry drängte sich durch die Menge.
    Es war überraschend einfach gewesen, die beiden Männer zu trennen. Er war einfach hingegangen und hatte gesagt: »Beruhigen Sie sich, sonst gibt es nur Schwierigkeiten.«
    Der Lieferwagenfahrer hatte sich verzogen, und Henry hatte den Älteren zu seinem Taxi begleitet.
    »Ich hab gar nicht auf dem verdammten Streifen geparkt, ich hab jemanden abgesetzt.«
    Der Dampf war raus; er war nicht mehr der Tiger von vor fünf Minuten. Der Mann hörte sich nur noch müde und quengelig an. Henry schloss die Wagentür.
    »Fahren Sie einfach weiter. Das ist es nicht wert.«
    Nachdem der Spaß vorbei war, waren die Gaffer und Grinser ihrer Wege gegangen, doch Henry war stehen geblieben und genoss den Augenblick. Es steckt eine gewisse Freude darin, Verantwortung zu übernehmen, wenn andere sich davor drücken, und der Zwischenfall hatte Henry an seine Zeit in der Firma erinnert. Er hatte sich verantwortlich gefühlt. Reine Eitelkeit natürlich, aber er war froh über die Gewissheit, falls nötig, noch immer entschieden handeln zu können.
    Energiegeladen durch diese Erkenntnis, gab er seinen Besuch in der Buchhandlung auf und ging nach Hause. Unterwegs tat er den zweiten entscheidenden Schritt des Tages. Er betrat ein Reisebüro und kaufte sich ein Ticket für einen Flug nach Miami drei Tage später. Er hatte beschlossen, seine Fahrt nach Florida vorzuziehen. Er würde Maude vergessen und sich an Nessa erinnern.

18.
    Das Ritz Carlton in Palm Beach ist sehr stolz auf seine Gemäldesammlung. Den Gästen wird eine geführte Tour durch die Zimmer und Flure angeboten, doch die meisten guten Gemälde (falls einem großzügig gefirnisste Landschaften des 19. Jahrhunderts gefallen) befinden sich gleich neben der Lobby in der Lounge und der Bar im Erdgeschoss.
    Hier genießen die Gäste ihren Nachmittagstee und treffen sich auf einen Drink vor dem Dinner. Am Abend gibt es einen Klavierspieler, und wenn man spät aus einem Konzert kommt, ist das hier der richtige Ort, um noch ein paar Frühlingsrollen zu essen, ein Filet Mignon oder ein Sandwich. Man findet immer einen Platz – zumindest montags bis freitags.
    An den Wochenenden gibt es nur noch Stehplätze. Das Hotel verpflichtet eine Tanzband, vier Musiker und eine Sängerin – erfahrene Profis, die selten bei einem Musikwunsch passen müssen. Die meisten, die in den dickenSesseln und Sofas rings um die Tanzfläche sitzen, sind keine Hotelgäste, sondern Anwohner. Die wenigen Touristen, die sich von

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