Die Spinne (German Edition)
eine.« Er reichte es zurück.
»Du hast sie noch nie gesehen?«
»Sollte ich?«
Es hatte keinen Sinn, sich bei Zhang Guo zugeknöpft zu geben. »Sie ist eine von den Überlebenden.«
»Von den Touristen?«
»Sie nannte sich Leticia Jones. Ihren wahren Namen haben wir nie erfahren.«
»Und warum schleppst du ihr Foto mit dir rum?«
Zhu schniefte. »Vor einer Woche ist sie in Shanghai gelandet, mit einem Pass auf den Namen Rosa Munu aus dem Sudan.«
Scheppernd hämmerte Zhang Guo die Faust aufs Autodach, dann entfernte er sich wieder und nestelte an der Brust nach der nächsten Zigarette. Nachdem er sie angezündet hatte, wandte er sich um. »Wo ist sie jetzt?«
»Hat Peking letzte Woche Richtung Kairo verlassen. Wir sind gerade dabei, die Woche zu rekonstruieren, in der sie hier war.«
»Aber warum war sie hier? Auf eigene Faust kann eine Agentin doch nichts ausrichten, vor allem wenn sie bereits enttarnt ist.«
»Sie hat es eine Woche lang ganz allein geschafft, unbemerkt zu bleiben. Dass sie hier war, habe ich erst rausgefunden, nachdem sie schon wieder verschwunden war. Ein Grenzsoldat hat gehört, wie sie sich mit einem anderen Sudanesen auf Englisch unterhalten hat. Der Sudanese wollte Arabisch mit ihr sprechen, aber sie konnte es nicht. Kein Grund, sie festzuhalten, doch der Grenzposten hat sich ihren Namen notiert, um ihn später überprüfen zu können. Jemand aus Sun Bingjuns Abteilung hat ihn mir als Anfrage weitergeleitet. Ich habe das Foto aus meinen Tourismusakten wiedererkannt.«
Zhang Guo fluchte laut.
»Muss nichts Großartiges zu bedeuten haben.« Zhu war sich nicht sicher, ob seine Worte mehr an ihn selbst oder an Zhang Guo gerichtet waren. »Auf jeden Fall war sie nicht ohne Grund hier. Entweder was Operatives oder das Erkunden von Möglichkeiten.«
»Möglichkeiten wofür? Für einen Vergeltungsschlag gegen den großen Xin Zhu?«
Zhu ließ das Foto zurück in seine Tasche gleiten. »Keine Ahnung. Ich weiß nicht mal, ob sie noch für die CIA arbeitet.«
»Vielleicht arbeitet sie für Wu Liang«, warf Zhang Guo ein.
»Daran habe ich auch schon gedacht.«
»Das war ein Witz, Xin Zhu.«
Zhu setzte ein Lächeln auf, doch für ihn war es kein Witz. Nichts an dieser Geschichte war ein Witz für ihn. Wu Liang vom Aufsichts- und Verbindungssausschuss, die CIA oder irgendein anderer Dienst, dem er in den letzten Jahrzehnten Scherereien bereitet hatte, konnte hinter ihm her sein. Mit den Jahren wird die Vorstellung des anderen gesichts- und konturlos, und ihre allgegenwärtigen Tentakel lauern in jeder Ritze.
»Und was willst du jetzt von mir, Xin Zhu?«
»Ich möchte wissen, worauf genau ich am Montag gefasst sein muss. Die einzelnen Punkte, die man mir vorhalten wird.«
Zhang Guo nickte. »Kriegst du bis Sonntag.«
»Was die Frau angeht, muss ich wissen, ob das Ministerium für Öffentliche Sicherheit Informationen über sie hat.«
Diesmal zögerte Zhang Guo. Er machte einen tiefen Zug und atmete Rauch aus, der vom Wind sofort verweht wurde. »Xin Zhu, vor zwei Monaten hast du behauptet, dass im Ministerium für Öffentliche Sicherheit ein westlicher Maulwurf sitzt, und dem Ministerium daraufhin die Weitergabe deiner nachrichtendienstlichen Erkenntnisse verweigert. Als man dich aufgefordert hat, Beweise vorzulegen, hast du dem Ausschuss Notizen mit chinesischen Informationen aus dem Besitz der Abteilung Tourismus übergeben, die deiner Meinung nach nur ein Insider zusammengetragen haben konnte. Nichts davon war nachprüfbar, weil die CIA die Abteilung Tourismus nach deinem Angriff geschlossen hat. Aber hat dich das in irgendeiner Weise beeindruckt? Nein. Im Gegenteil, du hast verlangt, dass der Ausschuss die gesamte Verwaltung des Ministeriums einfriert, bis jemand verhaftet wird.«
»Meine Forderung wurde abgelehnt«, bemerkte Zhu.
»Aber nicht vergessen. Du hast nicht die Verantwortung für den Guoanbu. Du bist nicht mal der Leiter einer Kernabteilung. Du warst immer nur am Rand tätig und hast dir dabei haufenweise Feinde gemacht. Meine Befürchtung ist, dass man dich am Montag zur Leitung eines Dorfkollektivs in der Nähe der Mongolei abstellen und deine Dienststelle schließen wird, um Platz für eine Grundschule zu gewinnen. Es lohnt sich nicht, für jemanden wie dich so viele Scherereien auf sich zu nehmen.«
»Heißt das, du wirst nicht fragen, ob sie Informationen über die Frau haben?«
Zhang Guo starrte ihn mit großen Augen an, dann warf er seine Zigarette weg und
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