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Die Spinne (German Edition)

Die Spinne (German Edition)

Titel: Die Spinne (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
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Landschaft zwischen den Stationen nichts ändern. Nanjing war hell erleuchtet wie ein Landeplatz, obwohl inzwischen schon die Sonne aufgegangen war, und es war nach Mittag, als er endlich in Shanghai ankam. Wacklig vor Müdigkeit, schob er seine Tasche in ein Bahnhofsschließfach, dann nahm er den Bus hinüber zur Fucheng Road und suchte zwischen den steil aufragenden modernen Hochhäusern eine öffentliche Telefonzelle. Er rief im Pudong Shangri-La an und fragte in einem leicht drolligen Hokkien-Akzent nach Herrn Xin Zhu. Nach zwei Klingeltönen legte er auf und rief erneut an, um dem Hotelangestellten mitzuteilen, dass er unterbrochen worden war. Diesmal läutete es nur einmal, ehe sich ein Mann mit müder Stimme meldete, die der Xin Zhus nicht unähnlich war.
    »Wei?«
    »Herr Xin Zhu.« Zhu behielt den Akzent bei. »Sie haben wegen einer Verabredung heute Abend angerufen. Leider ist Ihre Bekannte verhindert, aber vielleicht dürfen wir jemand anders schicken.«
    »Das wird sich einrichten lassen«, erwiderte der Hotelgast, der in Wirklichkeit He Qiang war, ein Agent, der schon zuvor zweimal in Xin Zhus Rolle geschlüpft war. Es war eine Seltenheit, dass jemand einen nur annähernd geeigneten Körperbau besaß, und auch in diesem Fall war noch eine dicke Polsterung nötig gewesen.
    Zhu erstickte ein Gähnen. »Allerdings muss sie Ihre Zimmernummer wissen.«
    »Natürlich, es ist Zimmer 1298. Aber vielleicht wäre es besser, wenn ich zuerst unten an der Hotelbar etwas mit ihr trinke.«
    »Ausgezeichnete Idee«, sagte Zhu. »Darf ich also acht Uhr im Jade on 36 vorschlagen?«
    Zhu ließ sich noch eine halbe Stunde Zeit, um hinunter zum Hafen zu schlendern. Dort fand er zu seiner Freude einen Häagen-Dazs-Laden und kaufte sich eine Kugel Choc Choc Chip, die er auf einer Bank am Fluss Huangpu aß. Wieder betrachtete er Gesichter, doch es handelte sich um eine weiter fortgeschrittene Version der neuen Chinesen, die ihm im Zug nach Qingdao begegnet waren. Auch in den Wolkenkratzern von Qingdao war die Wirtschaftselite zu Hause, aber Shanghai war ihr Nährboden. Die Männer trugen ihre Anzüge wie eine zweite Haut, die Frauen bewegten sich selbstbewusst in westlicher Modekleidung, und alle fühlten sich aufgehoben in dem Bewusstsein, dass ihre Stadt, die bevölkerungsreichste Stadt des bevölkerungsreichsten Landes der Welt, eine Reichweite hatte, die sich um den ganzen Globus erstreckte. Er hatte nicht gelogen mit seiner Äußerung gegenüber Zhang Guo, dass China eine nicht zu unterschätzende Supermacht war, und obwohl ihm nie ganz wohl war bei der Wirtschaftspolitik, für die Shanghai stand, bewies allein schon ihre Existenz, dass sich sein Land grundlegend verändert hatte. Die Ankunft hier war wie das Eintauchen in eine Zukunft permanenter Bewegung, und es gehörte zu seinen Aufgaben zu gewährleisten, dass diese nicht durch äußere Faktoren gebremst wurde. Permanente Bewegung, permanente Revolution. Während er langsam sein Eis genoss und spürte, wie es sich durch den Aal fraß, der ihm noch immer auf den Magen drückte, dachte er über Schnelligkeit nach.
    Wie jeder x-beliebige Gast durchschritt er die gläsernen Eingangstüren, um in die überfüllte Marmorlobby zu gelangen, in dem Wissen, dass irgendwelche Beobachter – egal, ob sie von Wu Liang, vom Ausschuss oder von den Amerikanern geschickt worden waren, irgendjemand beobachtete ihn immer – denken mussten, dass sie nicht mitbekommen hatten, wie er das Hotel zuvor verlassen hatte, und das würde kein Aufpasser in einem Bericht zugeben. Er rauschte an einer Ansammlung japanischer Geschäftsleute vorbei und teilte sich den Aufzug mit einem kanadischen Paar, das offensichtlich sehr verliebt war. Ein seltener Anblick.
    An der Tür zu Zimmer 1298 hing zwar ein Schild mit der Aufschrift BITTE NICHT STÖREN , doch sie war nur angelehnt. Als er sie aufschob, erblickte er einen sauberen, leeren Raum mit geschlossenen Jalousien und einem Magnetkartenschlüssel am Fuß des gemachten Betts. Er zog die Tür hinter sich zu und wandte sich zum Bad, von wo er Geräusche hörte. Dort entdeckte er He Qiang, einen stämmigen, breitschultrigen Mann über vierzig mit einem kleinen Muttermal auf der Wange, der grinsend auf der Toilette saß. An einer Vorhangstange hing tropfend nass eine Garnitur gepolsterte Unterwäsche – der »Fettanzug«, in dem He Qiang im Hotel abgestiegen war.
    Sie schüttelten sich die Hand, und Zhu beugte sich weit vor, um ihm etwas ins Ohr zu

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