Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Spinne (German Edition)

Die Spinne (German Edition)

Titel: Die Spinne (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olen Steinhauer
Vom Netzwerk:
ernten werde. Ich wusste genau, warum ich nicht um Erlaubnis gebeten habe – man hätte sie mir nicht erteilt. Aber wir haben uns zu lange zurückgelehnt und uns zu unserem Wirtschaftswunder beglückwünscht, ohne seine Zukunft zu sichern. Wir dürfen nie vergessen, dass wir ein Übereinkommen mit dem chinesischen Volk haben. Die Menschen werden nur so lange den Mund halten und uns freie Hand lassen, wie sie einen Fortschritt erkennen können – stetigen Fortschritt in ihrem Alltagsleben. Und wenn es einer Organisation wie der CIA gelingt, mit ihren Intrigen unseren Fortschritt zu untergraben, müssen sich die chinesischen Bürger auf Stillstand oder schlimmstenfalls sogar auf eine Verschlechterung ihrer Lage gefasst machen. Im Gegensatz zu Jiang Luokes Abmachung mit Al Kaida ist unsere in Blut geschrieben. Ein paar magere Jahre, und es geht uns an den Kragen.«
    »Du denkst also an die Zukunft. Tja, so geht es, wenn man eine junge Frau hat.«
    »Da hast du verdammt recht!« Zum ersten Mal an diesem Abend wurde Zhu laut. Er atmete durch. »Überleg doch mal, Zhang Guo. Die Einkindpolitik. In zwanzig Jahren sieht die durchschnittliche Familienstruktur so aus, dass ein Kind sich um zwei Eltern und vier Großeltern zu kümmern hat. Wie sollen wir das aufrechterhalten, wenn die Amerikaner unsere Wirtschaft angreifen? Dazu kommt, dass in unserem Land sechzehn Prozent mehr Jungen als Mädchen zur Welt kommen. Wie viele Männer werden daher unverheiratet bleiben? Männer mit unbefriedigter Libido, behindert durch Armut. So sieht die nächste Generation aus, Zhang Guo. Das sind die enttäuschten Männer, die uns in zwanzig Jahren auf offener Straße aufhängen werden.«
    Ein wortgewaltiger Vortrag, doch Zhang Guo brauchte nicht viel Zeit, um ihn zu verarbeiten, denn das meiste davon kannte er schon. Er nahm einen Schluck Bier und stellte die Flasche wieder hin. »Diesen Streit hast du schon längst verloren, Xin Zhu. Vor zwölf Jahren hast du dir von Jia Chunwang einen halb öffentlichen Tadel eingefangen, weil du ihn davon abhalten wolltest, unsere Agenten aus dem Westen zurückzurufen. Das hast du nur mit knapper Not überlebt. Erst vor kurzer Zeit hast du dir mit deiner unbegründeten Maulwurftheorie den Unmut des gesamten Ministeriums für Öffentliche Sicherheit zugezogen. Und jetzt ignorierst du alle, die sich dir entgegenstellen könnten. Du tust so, als würden sie gar nicht existieren. Aber sie existieren, Xin Zhu. Und sie werden dir bei lebendigem Leib die Haut abziehen.«
    Seufzend griff Zhu nach seiner Flasche. »Hast du gewusst, dass sich der neue CIA -Direktor persönlich dafür eingesetzt hat, die Abteilung Tourismus zu schließen? In Amerika gibt es genauso viele Hinterzimmerkontroversen wie bei uns. Was ich getan habe, mag Quentin Ascot beschämen, doch letztlich wird er nicht zurückschlagen, weil ich etwas erreicht habe, was er nicht geschafft hat.«
    »Ich bezweifle, dass er die ganze Abteilung töten wollte.«
    »Er spart sich immerhin einen Haufen Pensionszahlungen.«
    »Und diese Touristin, die in Peking rumschleicht? Meinst du nicht, dass du mit deinen Überlegungen ein wenig schiefliegst?«
    »Was ist gegen diese Überlegungen einzuwenden, Zhang Guo? Stell dir einfach mal vor, im Ministerium für Öffentliche Sicherheit sitzt tatsächlich ein Maulwurf, und er meldet der CIA am Montag, dass Xin Zhu in die Wüste geschickt wird. Die Amerikaner erfahren also, dass der einzige Mensch, der bereit war, ihnen ihr Vorgehen gegen uns im Sudan heimzuzahlen, gefeuert worden ist. Kannst du mir folgen? Dann zähl mal eins und eins zusammen. Wie lange wird es wohl dauern, bis sie sich die nächste Gemeinheit einfallen lassen?«
    Zhang Guo nahm eine Zigarette heraus. »Wenn sie wissen, dass keiner mehr da ist, der sie bis aufs Blut bekämpft, versuchen sie vielleicht, Freundschaft zu schließen.«
    Zhu ließ sich das durch den Kopf gehen und starrte auf die Reste seines gebratenen Aals. Er hatte doch keine Ähnlichkeit mit Wu Liang. »Wenn es jemand auf mich abgesehen hat, dann bestimmt nicht Quentin Ascot. Da bin ich mir völlig sicher.«
    »Wer dann?«
    Zhu rieb sich übers Gesicht und griff nach einem frischen Bier.

3
    Die einzige Ähnlichkeit zwischen dem gebratenen Aal und Wu Liang war die Magenverstimmung, die ihn auf der langen Zugfahrt von Jinan nach Shanghai einholte und jeden Schlaf verhinderte. Daran konnte auch die luxuriöse Schlafkabine mit eigener Toilette und Blick auf die nächtlich dunkle

Weitere Kostenlose Bücher