Die Spinne (German Edition)
einem Kellner, der hinten bei der Kasse stand und in ein Handy sprach. »Das kapier ich nicht«, resümierte er schließlich. »Alan fliegt um die ganze Welt, um nach London zu kommen, arrangiert ein Treffen mit einem tibetischen Dissidenten im Hotel, taucht aber nicht in dessen Zimmer auf. Dann macht er sich aus dem Staub. Ich möchte die Kamerabilder sehen.«
»Die musst du dir schon selbst besorgen. Mein Kontaktmann hat sie gesehen, kann aber keine Kopie rausschmuggeln.«
Angekündigt von einem angenehm kräftigen Aroma kam das Essen, und Milo bemerkte schon nach Kurzem voller Bestürzung, dass die Lippen seines Vaters klebrig von Fischkrümeln waren. Er spürte den Drang, sie ihm mit einer Serviette abzuwischen, doch das hätte sich Jewgeni bei aller Schrulligkeit nie gefallen lassen.
Milo wechselte das Thema. »Wie läuft’s in der Arbeit?«
Kauend ließ sich Jewgeni die Frage durch den Kopf gehen. Mit einem angedeuteten Achselzucken hob er sein Esswerkzeug. »Nimmt kein Ende. Ich hab dir nie erzählt, wie mein Tagesablauf aussieht, oder?«
Milo schüttelte den Kopf. Er wusste zwar, dass sein Vater seit sechs Jahren eine inoffizielle Geheimdienstabteilung bei der UN leitete, aber er hatte keine Ahnung, was diese Arbeit konkret umfasste. Dass Jewgeni Agenten koordinierte, war klar, aber nicht, wie viele und wie oft.
»Auf jeden Fall muss ich häufig reisen. Nicht so oft wie ein Tourist natürlich, aber für mein Alter trotzdem viel. Inzwischen muss man sich ständig mit Sicherheitsmaßnahmen rumschlagen – mein UN-Ausweis ist längst nicht mehr so wertvoll wie früher. Und die Arbeit nimmt immer mehr zu. Ich musste sogar jemanden einstellen, damit mir der Organisationsaufwand nicht über den Kopf wächst. Ich würde ja gern in den Ruhestand gehen, aber ich weiß nicht, wem ich das Ganze übergeben soll.«
»Diesem neu eingestellten Assistenten«, schlug Milo vor. »Er soll das Ganze übernehmen, und du kannst den Kontakt halten, falls Probleme auftauchen.«
» Sie. Nein, ich weiß, dass sie den Job nicht will. Deswegen liege ich dir ja ständig in den Ohren damit, dass du deine idiotische Arbeitssuche aufgibst und einfach bei mir anfängst.«
»Ich hab die Nase voll vom Reisen«, erwiderte Milo. »Außerdem möchte ich nicht für meinen Vater arbeiten.«
Jewgeni faltete die Hände unter dem bekleckerten Kinn und starrte ihn an. »Vielleicht hast du recht, Milo. Ich weiß nicht, ob dein Stehvermögen für diese Aufgabe reichen würde.«
»Umgekehrte Psychologie hat bei mir schon mit sechzehn Jahren nicht mehr gezogen.«
Jewgeni tätschelte Milos Hand. »Man muss alles probieren.«
Bevor sie aufbrachen, bestellte Milo noch Baklava zum Mitnehmen und wartete am Eingang, während Jewgeni das Mittagessen mit seiner Karte bezahlte. Draußen wandten sie sich in östliche Richtung und vereinbarten für den nächsten Abend ein gemeinsames Essen mit Tina und Stephanie. Dann erzählte Milo ihm von dem vermeintlichen CIA -Agenten Dennis Chaudhury. Als er die Geschichte hörte, runzelte Jewgeni die Stirn. Er nahm ein Taschentuch heraus und wischte sich Fett von den Lippen. »Hört sich ziemlich unwissend an, dieser Mr. Chaudhury.«
»Er weiß bestimmt mehr, aber jetzt ist die Sache sowieso erledigt. Er glaubt, dass er alles aus mir rausgeholt hat, was rauszuholen ist.«
»Hast du nachgeprüft, ob er wirklich von der Company ist?«
»Ich hab die Nummer von seinem Chef.«
»Eine Nummer, die er dir gegeben hat?« Jewgeni klang zweifelnd.
»Ich rede morgen Vormittag mit dem Typen, dann sehe ich weiter. Aber es spielt sowieso keine Rolle. Die CIA stellt Nachforschungen an, und entweder gibt sie die Ergebnisse weiter oder nicht.«
Jewgeni zögerte und musterte seinen Sohn mit einem scharfen Blick, ehe er seinen Weg achselzuckend fortsetzte. »Mich überrascht, wie gelassen du das alles hinnimmst.«
Es war nicht ganz so mühelos, wie sein Vater zu glauben schien, aber auf jeden Fall fiel es ihm jetzt leichter. Alan war auf seinen eigenen zwei Beinen aus dem Hotel hinausmarschiert. Er hatte eine Operation geführt – führte sie vielleicht immer noch –, und das Geschehen in London stellte einen unbeholfenen Versuch dar, Milo in die Sache hineinzuziehen. Dieses Vorgehen war plump und dumm, und das allein sprach schon dafür, sich von Alan Drummond fernzuhalten.
»Ach, und übrigens, alles Gute zum Geburtstag.«
In der Bahn nach Hause musste er gegen einen neuen Schmerz im Bauch ankämpfen, der von einer
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