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Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)

Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition)

Titel: Die Sprengmeister und der unheilige Gral: Social Fiction (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heiner Wacker
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Gespräche in erster Linie um die jüngste Attacke und den Schaden, den sie angerichtet hat. Unbestätigten Berichten zufolge hat der Terrorakt nicht nur mehr als dreihundert Menschenleben gekostet – von unzähligen, zum Teil schwer Verletzten ganz zu schweigen –, sondern auch große Teile des Rathauses und der umliegenden Geschäftshäuser, vornehmlich Schnellimbissketten und Boutiquen, wegrasiert. Der dem Rathaus gegenüberliegende McDonalds soll von einer Schiffsladung pürierter menschlicher Biomasse geradezu überschwemmt worden sein. Genaueres hingegen weiß man nicht, denn seit dem Anschlag ist die ganze Innenstadt, zumindest aber das, was innerhalb der Promenadenmauer liegt, abgeriegelt. Die übliche Nachrichtensperre tut ein Übriges, kann die Gemüter aber nicht erregen, denn an die eher tröpfchenweise Weitergabe von Neuigkeiten sind die Anwesenden seit der Abschaltung der meisten Netzwerkknoten und der damit verbundenen Informationsausdünnung gewöhnt.
    Carsten hat sein Drahtpferdchen in einer Ecke vor dem Eingang geparkt, er hängt seine Jacke an einen Haken neben dem Gemeinschaftsplumpsklo und beginnt die obligatorische Begrüßungsrunde.
    «Hallo, Klaus, alte Termite.» Er klopft einem dicken Mann mit Glatze und glänzendem Stiernacken vorsichtig auf die Schulter. «Was machen die Cholesterinwerte?»
    Der dicke Mann rotiert vorsichtig um seine Achse und fixiert den Neuankömmling mit blassen, wässrigen Augen. Die bernsteinfarbene Flüssigkeit in dem Einmachglas in seiner Hand schwappt müde hin und her, als er versucht, seinen unsteten Blick auf die Nasenwurzel seines Gegenübers zu fokussieren.
    «Carsten, alte Ledermatte, wo warst du?», quält er mühsam heraus. «Wir dachten schon, wir müssten ohne dich anfangen.»
    «Habt ihr ja auch.» Carsten nickt in Richtung Einmachglas. «Und wie’s aussieht schon vor einiger Zeit.» Er grinst und geht weiter. Der einzige Luxus, den seine WG sich gönnt, ist eine semiprofessionelle Haushaltsbierbraumaschine der Firma Warburger. Macht guten Stoff, der bei den häufigen Gästen stets hoch geschätzt ist.
    Carsten beschließt, sich zunächst erst einmal selbst zu medikamentieren und schlendert hinüber zur improvisierten Theke. Beim Anblick der mit Kondenswasser gesprenkelten Schläuche läuft ihm das Wasser im Mund zusammen. Der Anlass verdient ein würdigeres Trinkequipment als den Inhalt des Glascontainers, der das Thekengeschirr bildet, aber noch bevor Carsten zu seiner Hütte huschen kann um sich den Steinkrug zu holen, den er vor vielen Jahren bei einer Brauereibesichtigung in Andechs abgestaubt hat und den er seit dieser Zeit wie seinen Augapfel hütet, spürt er, wie sich von hinten eine Schubkarre weiches Gewebe gegen seinen Rücken drückt. Carsten stöhnt innerlich auf, aber da es für einen geordneten Rückzug bereits zu spät ist, bleibt nur die Flucht nach vorn. Er dreht sich um.
    «Hallo, Hanna, auch da?»
    Vor ihm steht Hanna Fieber, eine matronenhafte Frau um die Mitte siebzig mit violetter Hochfrisur und Hängebacken. Der karierte Hosenanzug dürfte schon zum Zeitpunkt des Erwerbs eine Nummer zu klein gewesen sein. Sie legt Carsten ihre fetten Pranken auf die Schultern und zieht ihn zu sich herab. Im letzten Augenblick kann er den Kopf wenden und entgeht so einem feuchten Kuss auf den Mund.
    «Ich bin immer für dich da», raunt sie ihm mit heiserer Stimme ins Ohr. «Wo und wie oft du willst.»
    Carsten befreit sich vorsichtig aus dem Griff der nun nicht mehr ganz so ehrbar wirkenden Frau.
    «Hanna, lass den Blödsinn. Dafür bin ich schon zu alt.»
    «Dafür ist man nie zu alt. Dauert nur länger. Außerdem – so alt siehst du gar nicht aus.»
    «Du solltest mich von innen sehen. Inwendig habe ich mehr Jahresringe als eine finnische Thingeiche.»
    Das ist dreist gelogen, denn Carsten sieht mit seinen knapp sechsundsiebzig Jahren nicht nur ganz passabel aus, auch seine Vitalfunktionen bieten keinen Anlass zur Klage. Noch nicht. Zudem lässt ihn seine berufsbedingte Drahtigkeit einige Jahre jünger wirken, sodass er notfalls auch noch als faltiger Zweiundsiebzigjähriger durchgehen würde. Im Moment würde er allerdings lieber aussehen wie Methusalems Großvater.
    Bevor es ernst werden kann, naht Hilfe in Form seines alten Kumpels Horst Gerlach.
    «Hallo, Carsten, altes Gürteltier, wir haben dich schon vermisst.» Und zu Hanna Fieber gewandt: «Hanna, hör auf meinen Freund Carsten sexuell zu erregen. Der Mann hat Bluthochdruck. Jede

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