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Die Spucke des Teufels

Die Spucke des Teufels

Titel: Die Spucke des Teufels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ella Theiss
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einer Echse und die Wunde in seinem Rücken, in der noch Hagen
von Tronjes Speerspitze steckt, quält ihn wie sonst einen Greis das Zipperlein
quälen mag.

    »Bier?« Lisbeth überlegt. Tatsächlich gibt es noch Bier
im Schuppen. Die Preußen haben vergessen, das dritte Fass abzuholen. Mag sein,
dass sie es bald vermissen, doch wie soll jemand bemerken, dass Lisbeth ein
paar Becher für andere Gäste abgezapft hat?

    »Gott segne dich, gutes Kind! Ein Bier wäre auch mir willkommen«,
sagt der heilige Bartholomäus, der sich unvermittelt aus dem hölzernen Kruzifix
in der Ecke herablässt. Das Haupt, das ihm die Türken abgeschlagen haben, trägt
er stolz unter dem Arm wie einen Ritterhelm. Der heilige Bartholomäus ist der
Schutzpatron des Kohls und der Rüben. Lisbeth opfert ihm, seit sie denken kann,
in jedem Winter einen besonders großen Wirsing. Und erhält dafür reiche Ernte
im folgenden Jahr.

    »Es ist sogar besser, ein wenig Bier abzulassen, bevor
ein strenger Frost kommt«, mahnt die Mutter. »Sonst gefriert das Bier im Fass
und bringt es zum Bersten.«

    »How!«, sagt der Indianer, der lächelnd aus dem Ofen
kriecht.

    Da verlässt auch die heilige Irmgard ihre Armen und
Kranken, steigt vom Ölgemälde an der langen Wandseite herab und setzt sich
schweigend zu der Gesellschaft.

    Lisbeth eilt sich, alle zu bedienen.

    »Bring dir ruhig auch einen Becher mit, Lisken! Und dann setz
dich zu uns!«, ruft ihr die Mutter hinterher.

    Lisbeth bringt sechs Bier herein, stößt mit allen an und
nimmt einen tiefen Zug. Es schmeckt wunderbar, dieses Gesöff! Süß und herb
zugleich. Und es prickelt wonniglich in der Kehle. Lisbeth trinkt und lauscht,
was ihre Gäste einander erzählen.

    Am lautesten redet Siegfried. Schimpft wie immer auf die
Preußen: »Swinefurze! Arsfratzen!« Ganz aufgebracht ist er, weil der
Preußenkönig verhindern will, dass das Nibelungenlied in neues Deutsch
übertragen wird. Es sei »heidnischer Quatsch« und »keinen Schuss Pulver wert« –
so soll der König gesagt haben.

    Die Mutter und die heilige Irmgard blicken sich an, schütteln
die Köpfe vor Empörung. Der Indianer jault, klopft mit seinen Fingerkuppen auf
die Tischkante, dass es klingt wie Kriegsgetrommel. Der heilige Bartholomäus
hat sein abgeschlagenes Haupt vor sich auf die Tischkante gesetzt und reibt
seinen Heiligenschein blank.

    »Der Preußenkönig kann ohnehin nicht richtig Deutsch«,
sagt der Mund vom heiligen Bartholomäus und die Schultern zucken belustigt
dazu. »Er wird kaum bemerken, wenn es jemand doch übersetzt und drucken lässt.«

    Der Gedanke gefällt Siegfried. »Haut em opp de Kopp, datt em de Schnorrbart dawwert!«,
singt er.

    Der König hat keinen Schnurrbart, will Lisbeth einwenden,
doch die anderen singen schon mit, schunkeln und schweben rund um den Tisch mit
dem Drudenfuß. Dem Drudenfuß aus lauter glitzernden Talern.
    »Haut em opp de Kopp, datt em de Schnorrbart dawwert!«, singt
jetzt auch Lisbeth. Heiß ist ihr vor Glück. Nicht nur wegen des Geldes. So
viele liebe Gäste hat sie heute – und alle zugleich! Bald hat sie ihren Becher
ausgetrunken, darf bei den anderen nippen. Wieder und wieder nippen. Bis auch
deren Becher leer sind. Und Lisbeth auf dem Fußboden einschläft.

     
    So fest schläft Lisbeth in dieser Nacht, dass sie
nicht merkt, wie die Erde bebt. Mehrmals im Morgengrauen erfasst ein
anhaltendes Zittern die Dörfer und Städte an Rhein und Niers, lässt manche
Hütte einstürzen, deckt viele Reetdächer ab. Und in Goch, da läuten die
Glocken, obwohl kein Pfarrer und kein Küster am Seil zieht! Als Lisbeth von
Preußentalern, Scherben und ausgelaufenem Bier umgeben erwacht und aus dem
Fenster blinzelt, ist alle Welt unterwegs zur Gocher Kirche.

    »Der Pastor will dort predigedn, wegedn dedm Erdbebedn«,
ruft der Emilbauer, der vorbeikommt, um Lisbeth auf seinem Fuhrwerk
mitzunehmen. Lisbeths Kopf dröhnt, in ihrem Bauch blubbert noch das Bier. Doch
sie greift ihren Mantel, zieht ihre Haube über und steigt auf.

7          Der Pastor

     
    Aus den Predigten des Pastors Rumolt Stein (1702–1775)

    Liebe Gemeinde in Christo,

    ihr alle habt die Zeichen vernommen, die Gott der
Herr uns gesandt hat. Die Erde in dieser eurer schönen Stadt hat zu
Allerheiligen gebebt und hat in der vergangenen Nacht nun wieder gebebt, als
ihr schlieft, als ihr nicht nachdachtet über Tod und Zerstörung, welche solch
ein Beben wohl mit sich bringen kann. Es war ein Zeichen, nicht

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