Die Spur der Füchse
gern lange schlafen und drei kleine Mahlzeiten am Tag, immer zu den gleichen Zeiten. Und ich möchte herausfinden, ob ich mich noch daran erinnern kann, wie man ein Bild malt.«
Ellen nickte. Sie war verlegen, und Derek erging es nicht anders. Mit einemmal war ein neues Verhältnis zwischen ihnen entstanden. Beide versuchten sich darin zurechtzufinden, sich neu zu orientieren. Deshalb wußten sie nicht recht, was sie sagen oder tun sollten.
Dabei war Dereks Situation einfacher. Schließlich hatte er das Opfer gebracht, um das Ellen ihn gebeten hatte: Er hatte ihr seine Seele gegeben. Nun war es an Ellen, dieses Geschenk mit einer Geste angemessener Dankbarkeit entgegenzunehmen.
Doch für Ellen bestand der Preis darin, daß Felix aus ihrem Leben verschwinden mußte.
Das schaffe ich nicht, dachte sie. Die Worte hallten in ihrem Innern nach wie die Silben eines Fluches, den jemand in einer dunklen Höhle gerufen hatte.
»Wie wäre dir unser zukünftiges Leben denn am liebsten?« fragte Derek.
Es schien beinahe so, als wüßte er von Ellens Zwangslage, und als wollte er Druck auf sie ausüben. Als wollte er aus ihrem Munde hören, daß sie zu ihm gehörte und zu niemand anderem.
»Es wäre mir lieb, wenn wir uns möglichst viel Zeit zum Nachdenken ließen«, sagte sie.
»Gute Idee.« Derek erhob sich. »Tja, dann werde ich mal raufgehen und mich umziehen.«
»Warte, ich gehe mit nach oben.« Sie nahm ihren Drink und folgte ihm. Derek blickte verdutzt drein, und Ellen mußte sich sogar eingestehen, daß sie ein bißchen schokkiert über sich selbst war. Die Gewohnheit, dem anderen beim Ausziehen zuzuschauen, hatten sie vor dreißig Jahren abgelegt.
Sie gingen durch die Eingangshalle und stiegen gemeinsam die Treppe zum ersten Stock hinauf. Derek keuchte vor Anstrengung, und schnaufend stieß er hervor: »Wart’s nur ab. In einem halben Jahr re nne ich diese Treppe rauf.«
Er blickte voller Freude und Zuversicht in die Zukunft, Ellen hingegen voller Angst und Besorgnis. In Dereks Augen fing das Leben offenbar neu an. Wäre es doch schon der Fall gewesen, bevor ich Felix kennengelernt habe!, dachte Ellen.
Er hielt ihr die Schlafzimmertür auf, und ihr Herz setzte einen Schlag aus. Früher war diese kleine Geste der Höflichkeit Bestandteil eines Rituals gewesen, ein geheimes Zeichen zwischen ihnen beiden, der verschlüsselte Code zweier Liebender. Es hatte angefangen, als sie beide noch blutjung gewesen waren. Ellen war damals aufgefallen, daß Derek beinahe aufdringlich höflich zu ihr war, wenn er mit ihr ins Bett wollte. »Du hältst mir nur dann die Tür auf, wenn du mich vernaschen willst«, hatte sie des öfte ren im Scherz gesagt – was zur Folge hatte, daß sie beide über kurz oder lang immer an Sex dachten, wenn Derek Ellen eine Tür aufhielt. Bald wurde das Türenaufhalten zu Dereks Standardmethode, Ellen zu verstehen zu geben, daß er mit ihr schlafen wollte. Damals hatten solche dezenten Zeichen noch ihre Wirkung gehabt.
Und heute?
Ob Derek jetzt an unser altes Geheimzeichen denkt?, fragte sich Ellen, als er in der Tür auf sie wartete. Will er mir zu verstehen geben, daß er von mir erwartet, daß ich aus Dankbarkeit mit ihm ins Bett gehe? War das möglich? Es lag schon Jahre zurück, und Derek war so plump und fett geworden …
Derek ging ins Badezimmer und drehte die Wasserhähne auf. Ellen setzte sich an ihren Schminktisch und bürstete ihr Haar. Sie beobachtete im Spiegel, wie Derek wieder aus dem Bad kam und sich auszuziehen begann. Er machte es genauso wie früher: zuerst die Schuhe, dann die Hose, dann die Jacke. Er hatte Ellen einmal gesagt, daß diese Reihenfolge erforderlich sei. Schließlich käme zuerst die Hose auf den Bügel, dann erst die Jacke, und weil die Hose zuerst dran sei, müßten die Schuhe logischerweise zuallererst ausgezogen werden. Ellen hatte ihm gesagt, wie komisch ein Mann in Hemd, Krawatte und Socken aussähe, und beide hatten herzhaft gelacht. Jetzt aber war ihr gar nicht zum Lachen zumute, als sie Derek sah.
Er band die Krawatte los und knöpfte mit einem Seufzer der Erleichterung den Hemdkragen auf. Enge Hemdkragen waren ihm schon immer ein Greuel gewesen. Aber mit Anzug und Krawatte war es jetzt ja vorbei.
Er zog die Weste aus, dann das Hemd, dann die Socken, und schließlich die Unterhose. Dann erhaschte er Ellens Blick im Spiegel. In ihren Augen lag ein irgendwie trotziger Ausdruck, als wollte sie sich sagen: »So sieht ein alter Mann nun mal aus, also
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