Die Spur der Hebamme
gleichermaßen enttäuscht wie erleichtert. Zwar drängte es ihn, zu erfahren, wie dieses Weib aus dem Verlies entkommen konnte. Andererseits hatten sich seine Leute erhebliche Übergriffe gegenüber einer Edelfreien herausgenommen. Es würde wohl besser sein, wenn nichts davon je ans Tageslicht kam.
Marthe hingegen bat Gott stumm um Vergebung für ihre Lüge. Sie war sicher, Gott würde ihr verzeihen. Er war gütiger als seine Stellvertreter auf Erden und würde ihre Gründe verstehen. Denn obwohl sie sich wünschte, sie hätte vergessen können, erinnerte sie sich an jedes schrecklich Detail ihrer Qual: die Häme des Raubvogelgesichts und seine kranke Lust an ihrer Angst, die Rohheit der Wachen, den lodernden Schmerz der Hiebe, die Todesangst, als das Wasser über ihr zusammenschlug. Und Ekkeharts unerwartetes Eingreifen.
So rätselhaft seine Motive auch sein mochten, er hatte ihr unter großer Gefahr geholfen und sie vor dem Tod gerettet. Das konnte sie ihm nicht vergelten, indem sie ihn verriet.
Am Abend des gleichen Tages sah sie Ekkehart zum ersten Mal wieder, seit Christian sie von dessen Stammsitz abgeholt hatte. Er war zusammen mit Randolf, Richenza, Giselbert und Elmar auf dem Burgberg eingetroffen und saß beim Mahl in der Halle nur wenige Schritte von ihr entfernt. Diesmal wagte sie es, seinen Blick aufzufangen, und erkannte mit aller Klarheit, weshalb er sie vor dem Tod bewahrt hatte.
Ekkehart verließ die Tafel vor seinen Freunden. Er würde es nie zugeben, aber die neuerliche Begegnung mit Marthe setzte ihm mehr zu, als gut für ihn sein konnte. Ob sie nun eine Hexe oder eine Heilige war – sie musste einen Bann über ihn geworfen haben, dass er mit seinen Gedanken nicht von ihr loskam.
Er wollte allein sein und mit sich ins Reine kommen. Ohne sich auszukleiden, legte er sich aufs Bett und versank in Grübeleien. Als sich mit einem Mal die Tür öffnete, rechnete er mit einem Pagen oder einem seiner Freunde, der ihn zurück an die Tafel zu ihrem Gelage holen wollte. Stattdessen stand Randolfs Frau vor ihm. Geschmeidig wie eine Eidechse war sie hereingeschlüpft, verriegelte die Tür und lächelte ihn verführerisch an.
»Was wollt Ihr?«, fragte er unwirsch, durch den Wein und seine Stimmung unfähig, seine Abneigung gegen dieses Weib länger zu verbergen.
»Euch«, sagte sie immer noch lächelnd und trat näher.
Ekkehart war für einen Augenblick sprachlos.
Meinte sie wirklich das, was ihr Verhalten nahelegte?
»Euer Gemahl wird Euch vermissen«, sagte er schroff. »Ihr geht besser sofort zurück zu ihm.«
»Randolf ist in bester Gesellschaft und wird nicht nach mir suchen, ehe der letzte Krug Wein geleert oder er hoffnungslos betrunken ist«, erwiderte Richenza gelassen. »Und beides wird nicht so bald geschehen.«
Mit einem Mal hellwach, richtete sich Ekkehart hastig auf.
»Ich sagte, Ihr geht jetzt besser«, wiederholte er grob. »Oder wollt Ihr, dass ich Eurem Mann von Eurem unschicklichen Verhalten berichte? Er wird Euch vor aller Augen auspeitschen, wenn er erfährt, dass Ihr Euch aufführt wie eine Hure.«
Völlig unbeeindruckt von dieser Drohung lächelte Richenza und trat noch näher an ihn heran. Er wollte ihren Arm packen,um sie aus dem Zimmer zu schieben, da tat sie etwas Unerwartetes: Sie sank vor ihm auf die Knie.
Es dauerte einen Moment, bis er begriff, dass sie nicht etwa um Nachsicht bitten wollte. Stattdessen hob sie sein Obergewand an und nestelte an seiner Bruche. Im nächsten Augenblick machte sie sich an seinem Glied zu schaffen. Und zwar so geschickt, dass er scharf die Luft einzog und jeder Gedanke verflog, sie wegzujagen.
»Ich wusste doch, dass du dich überzeugen lässt«, gurrte sie, während sie ihn mit einer Hand zurück aufs Bett drückte.
Sie hatte es bisher bei jedem geschafft. Und Männer wie Ekkehart, die sie nicht gierig anstarrten wie hechelnde Hunde, waren eine Herausforderung und ein besonderer Anreiz für sie.
Als blutjunges Mädchen hatte sie sich geschworen, sich nicht länger zum Spielball der Männer machen zu lassen – damals, bald nachdem die nächtlichen Besuche ihres Vormundes in ihrer Kammer begonnen hatten. Niemand half ihr in ihrer Not, weder Gott noch die Frau ihres Vormundes, die sie nur verächtlich anstarrte und drohte, sie ungeachtet ihres Standes an den Schandpfahl zu stellen, sollte sie je wieder solche dreisten Lügen von sich geben. Da erst begriff Richenza, dass die Tante von den Umtrieben ihres Mannes wusste und froh
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