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Die Spur der Hebamme

Titel: Die Spur der Hebamme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Ebert
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neuen Überfälle, und er hatte auch schon Geld für den Bau der Kapelle borgen müssen.
    Es gab noch einen Grund dafür, warum er den Rappen vorzog. Bewusst hatte er sich dieses düstere Erscheinungsbild zugelegt: Ein Ritter mit dunklem Haar und schwarzem Bart, einem tiefgrünen Umhang, der fast schwarz wirkte, auf einem schwarzen Pferd.
    »Der schwarze Reiter!« Diesen Namen hatte er bereits die Dorfbewohner respektvoll wispern hören, als er mit Marthe nach Meißen aufgebrochen war. Und wie erwartet wurde er auch mit diesem ängstlich geflüsterten Namen tituliert, als erzum ersten Mal auf seinem Rappen auf dem Burgberg erschien.
    Genau so wollte Christian es haben. War er früher geachtet wegen seines Rufes als Schwertkämpfer und dafür, dass er sogar mit den wildesten Pferden fertigwurde, so wollte er jetzt gefürchtet sein. Niemand sollte es wagen, sich mit ihm oder seiner Frau anzulegen oder auch nur ein schlechtes Wort über sie zu reden.
     
    Marthe behielt auch nach ihrer Ankunft auf dem Burgberg ihr Schweigen bei. Bis zur Niederkunft der Markgräfin hatte sie hier keine wirklichen Pflichten, und die meisten Menschen am Hofe ließen sie aus Angst, Mitgefühl oder Misstrauen in Ruhe. Angesichts ihres Schicksals hatte sich das Gerücht herumgesprochen, der Schrecken habe ihr die Sprache verschlagen, wenn nicht gar ihren Verstand verwirrt.
    Als ein ihr unbekannter Ritter aus Ottos Gefolge Christian in ihrer Gegenwart ein Kompliment darüber machte, welch schöne und überaus sittsame Gemahlin er habe, da durchzuckte sie der Gedanke wie ein Blitzstrahl: Genau so wollten die Männer in der von ihnen beherrschten Welt die Frauen haben – stumm, duldsam, gehorsam.
    Während Christian und Lukas die Knappen am Hof im Schwertkampf ausbildeten, beobachtete sie schweigend die Menschen um sich herum.
    Es war das Schweigen, das ihr Heilung brachte. Stück für Stück begann sie, allmählich ihre Umgebung wieder wahrzunehmen. Und das auf neue Art, deutlicher denn je. Ihr war auf einmal, als ob sie die Welt mit neuer, ungeahnter Klarheit sah.
    Diese Welt um sie herum war erfüllt von lärmender Geschwätzigkeit. Sie sah Dummheit, Eitelkeit, Rachsucht, unverhüllte Gier, manchmal aber auch Mitgefühl und Barmherzigkeit.
    Ich habe das schon einmal gekonnt, machte sie sich klar, wenn auch nicht so deutlich wie jetzt. Josefa hat mich immer ermahnt, die Gabe zu nutzen, aber ich hatte mich davor gefürchtet. Es war mir unheimlich. Josefa hatte recht: Ich habe mich in der täglichen Arbeit vergraben, um davor wegzulaufen. Ich war feige. So erkannte ich nicht, woher Unheil droht, und bin dem Raubvogelgesicht in die Hände gefallen.
    Dankbar für den Schutz, den ihr Hedwig bot, zog sie sich noch mehr in sich zurück. Und sie sah mit fast schmerzlicher Deutlichkeit, was sie in ihrem Innersten stets gewusst hatte, auch wenn es zuletzt nicht mehr hatte zu ihr durchdringen können: Mit welch großer Liebe Christian sie umgab, wie ihn die Sorge um sie quälte. Das berührte ihr Herz zutiefst. Am Abend schmiegte sie sich in der Kammer an ihn und gab ihm zu verstehen, dass er ihr willkommen war.
    Überrascht, erleichtert und dennoch besorgt erwiderte er ihre Zärtlichkeiten und nahm sie so sanft, wie es ihm möglich war. Als sie spürte, dass er Angst hatte, ihr wehzutun oder zu schaden, ermutigte sie ihn stumm, sich nicht länger zurückzuhalten, und erwiderte seine Leidenschaft.
    Er respektierte ihr Schweigen geduldig. Er wusste, sie würde Zeit brauchen, um über das Durchlittene hinwegzukommen. Vielleicht würde sie nie darüber sprechen können, was man ihr angetan hatte. Er hoffte für sie, sie könnte es vergessen oder hätte es bereits vergessen. Manchmal, das wusste er, verloren Menschen ganze Abschnitte ihrer Erinnerungen, wenn sie etwas besonders Grauenvolles erlebt hatten.
    Ihnen beiden war klar, dass Bischof Martin oder einer seiner Beauftragten sie unnachgiebig mit Fragen bedrängen würden, wenn sie wieder zu sprechen begann.
    Marthe wusste, dass sie diesen Moment nicht ewig hinauszögern konnte. Doch noch durfte sie schweigen.
    Als Bischof Martin sie bald nach ihrer Ankunft zu sich beorderte, hatte sie längst beschlossen, ihm die Antwort auf seine Fragen zu verweigern.
    »Ist es wahr, dass du die Sprache verloren hast, meine Tochter?«, wollte er von ihr wissen, und sie nickte.
    »Erinnerst du dich überhaupt an das, was geschehen ist?«, drängte er weiter, und sie schüttelte den Kopf.
    Der Bischof schien

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