Die Spur der Hebamme
kümmern.
»Ich komme, sooft ich kann«, versprach er Marthe, und ihre Traurigkeit zerriss ihm fast das Herz.
Statt sofort zurückzureiten, quartierte sich Christian in Meißen in einer Herberge ein, von der aus er die Menschen beobachten konnte, die Tag für Tag in die Stadt hinein- und vor allem aus der Stadt hinausdrängten.
Er musste nicht lange warten. Bereits am zweiten Tag kam Till zu ihm gerannt, der sich als Stallbursche verkleidet und in den Stallungen des Bischofspalastes verdingt hatte.
»Er lässt sich einen Zelter satteln, mit Proviant für eine Woche«, berichtete der Spielmann atemlos.
Christian dankte ihm und riet ihm, sich umgehend auf den Rückweg ins Dorf zu machen. Aus dem Fenster seiner Kammer beobachtete er, welche Richtung das Raubvogelgesicht nach Verlassen der Stadt einschlug. Diesmal trug er kein kostbares schwarzes Gewand mit einem goldenen Kreuz, sondern nur eine einfache Kutte.
Christian zahlte seine Rechnung und holte den Rappen. Er konnte getrost genug Abstand halten, um nicht aufzufallen. Bald gab es keine weiteren Reisenden in dieser Richtung, und er musste nichts anderes tun, als den Spuren des Zelters im Schnee zu folgen. Er durchquerte ein Dorf, ein zweites,sah vor sich eine verlassene Ebene, die zu einem Wäldchen führte.
Gut, dachte er grimmig. Er wollte Marthes Peiniger fernab von Menschen töten.
Doch bald musste er seine Pläne ändern. Am Ende des Weilers kreuzten sich die Spuren des Zelters mit denen eines barfüßigen Kindes oder einer sehr zierlichen Frau. Genau war das nicht mehr zu erkennen, denn inzwischen hatte es wieder zu schneien begonnen.
Für ein kurzes Stück verliefen die nackten Fußspuren neben den Hufen, doch dann gab es unverkennbare Zeichen eines kurzen Kampfes. Wie es schien, hatte das Kind oder die Frau wegrennen wollen, war eingefangen und aufs Pferd gezerrt worden.
Christian vergaß nun alle Vorsicht und trieb seinen Rappen schneller durch den Schnee, in den Wald hinein, immer den Spuren folgend. Die Bäume wurden dichter, er dachte schon, er hätte sein Ziel verfehlt. Dann hörte er von rechts einen hellen Schrei. In jener Richtung sah er von weitem die Konturen einer halbverfallenen Hütte. Christian sprang ab, band den Hengst fest, zog seinen Dolch und trat die Tür zur Hütte ein.
Obwohl er in seinem Leben schon viel Grausiges hatte sehen müssen, überkam ihn doch Übelkeit angesichts des Bildes, das sich ihm bot.
Der Gesuchte hatte die Kutte hochgehoben. Vor ihm war ein nackter Junge über einen Holzklotz gebeugt, dessen Arme und Beine ein regelmäßiges Muster blutiger Schnitte aufwiesen.
Erschrocken und erbost über die Störung drehte sich das Raubvogelgesicht um. Als er die blanke Waffe auf sich gerichtet sah, kreischte er: »Ich bin ein Diener Gottes! Wenn Ihr mir etwas tut, fahrt Ihr geradewegs in die Hölle!«
»Dann treffen wir uns dort wieder«, sagte Christian in unbändigem Zorn und stieß ihm den Dolch ins Herz.
Das Raubvogelgesicht verharrte für einen Moment reglos, dann knickte er ein und fiel seitlich auf den zu Tode verängstigten Jungen.
Christian stieß den Leichnam beiseite und half dem Kleinen auf, der ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte, ohne ein Wort zu sagen.
Er war nicht älter als sechs oder sieben Jahre. Der andere Mann hätte den Jungen zweifellos getötet, nachdem er seine kranken Gelüste an ihm gestillt hatte. Das erklärte auch die Schauergeschichten aus den Dörfern um Meißen, in denen unfolgsame Kinder vom Teufel geholt wurden und nie wieder auftauchten. Er legte Schnee auf die Wunden des Jungen, damit sie aufhörten zu bluten. Mit klappernden Zähnen suchte der Junge dann seine Sachen zusammen und zog sie sich über.
»Dir wird nichts mehr geschehen«, beruhigte Christian ihn.
»Er sagte, ich müsste ihm gehorchen. Er war doch ein Gottesmann«, wisperte der Junge ängstlich.
»Ganz sicher nicht«, sagte Christian fest. »Das war ein Mann des Teufels.«
»Wird er aus der Hölle wiederkommen und mich holen?«, fragte der Junge.
»Nein. Seine Seele schmort nun ewig dort. Er wird niemandem mehr etwas tun.«
Er holte aus dem Proviantbeutel etwas Brot zur Stärkung für den Jungen und sah beruhigt, wie er beim Essen langsam wieder zu sich fand.
»Ich bringe dich jetzt bis zum Waldrand. Findest du von dort allein den Weg zurück nach Hause?«
Der Junge nickte. Keine seiner Wunden war bedrohlich, die Verletzungen würden heilen, zumindest die äußerlichen.
Zu Fuß ging Christian
Weitere Kostenlose Bücher