Die Spur der Hebamme
einigen Jahren gewütet hat. Ich hatte den Siedlern ein besseres Leben versprochen, wenn sie mit mir in das Land deines Oheims ziehen. Ein Versprechen, so gut wie ein Eid.«
Christian verzog einen Mundwinkel. »Und jetzt kommt der delikatere Teil. Lass mich mit einem Vergleich beginnen. Der Kaiser steht fest zu Herzog Heinrich, weil der sein Neffe und Kampfgefährte ist und ihm stets den größten Heerbann gestellt hat. Dennoch ist dein Vater überzeugt, dass der Kaiser dem Falschen sein Vertrauen schenkt und es über kurz oder lang zum Bruch zwischen beiden kommt. Ich habe geschworen, Randolf nicht eher zu töten, als Markgraf Otto es wünscht. Ich kenne ihn seit der Knappenzeit, seine Hinterlist und Rücksichtslosigkeit. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis er auch vor deinem Onkel sein wahres Gesicht zeigt.«
Konrad betrachtete seinen neuen Dienstherrn mit leicht geneigtem Kopf. »Ihr seid also nicht nur ein gefährlicher Mann, sondern auch ein geduldiger. Ich verstehe.«
Dann ritten beide wieder an und galoppierten den Hügel hinab.
Nachdem Christian und Konrad wohlbehalten auf dem Burgberg angekommen waren, übergab Christian seinen neuen Knappen Lukas’ Fürsorge und suchte nach seiner Frau.
Sie hatten noch einen Gang vor, von dem hier niemand etwas wissen durfte. Gemeinsam nutzten sie die hereinbrechende Dämmerung für den Weg in eines der ärmsten Viertel Meißens.
»Ich habe euch schon erwartet«, meinte Josefa, als sie die winzige Hütte betraten. Noch während Christian sich bückte, um unter dem niedrigen Türbalken hindurchzukommen, sah er, dass die weise alte Frau ihre wenigen Habseligkeiten zusammengepackt hatte.
Er wunderte sich kaum darüber. Sie hatten schon mehrfach mit Josefa darüber gesprochen, dass es Zeit wurde, sie nach Christiansdorf zu holen. Und er kannte seine Ziehmutter schließlich lange genug, um zu wissen, dass ihre Vorahnungen verlässlicher waren als vieles, was andere über das berichteten, was bereits geschehen war.
»Man hört allerhand über euch in der Stadt«, meinte die Alte, während sie sich erschöpft setzte, dankbar dafür, dass Marthe es übernahm, jedem einen Becher Bier einzuschenken.
»Den Rest kann ich mir zusammenreimen.«
Sie wirkte müde, so müde, wie Marthe sie noch nie erlebt hatte. Trotz der schlohweißen Haare und des hohen Alters war ihr Josefa bisher immer voller Tat- und Willenskraft erschienen. Jetzt lehnte sich die weise Frau gegen die Wand ihrer Kate und schloss die Augen.
»Mir ist nicht mehr viel Zeit beschieden. Ich werde nicht mit euch kommen können«, sagte sie zu Christians Bestürzung.
»Meine Sachen, meine Kräuter und Sämereien soll Marthe haben.«
Langsam hob Josefa die schweren Lider und blickte gedankenversunken ins Leere.
Nach einem Moment der Stille richtete sie ihren schweren Blick auf Christian. »Ihr seid beide in Gefahr. Du« – nun sah sie zu Marthe – »noch mehr als er.«
Marthe fröstelte. Doch statt der bedrohlichen Szene mit Giselbert stand ihr auf einmal wieder der Alptraum aus dem Kerker vor Augen.
Josefa schien die stumme Frage ihrer Besucher zu ahnen. »Erinnerst du dich noch daran, was ich dir bei unserer ersten Begegnung sagte?«, fragte sie Marthe.
Die junge Hebamme musste nicht nachdenken. Zu stark hatten sich ihr jene furchtbaren Worte damals ins Gedächtnis eingebrannt. Von Feuern, die lodern würden, in denen die weisen Frauen und Wehmütter verbrannt würden, weil die Ärzte und die Kirche ihr Tun fürchteten und sie vernichten wollten.
»Der neue Bischof will beweisen, dass er mit aller Strenge gegen heidnischen Aberglauben und bösen Zauber vorgeht, um den wahren Glauben zu schützen. Zeiten des Umbruchs sind gefährlich. Sie bringen noch mehr Eiferer als sonst hervor.«
Die Alte machte eine lange Pause, das Sprechen fiel ihr immer schwerer.
Marthe wollte ihr etwas zu trinken geben, doch Josefa wehrte ab. »Du musst dich endlich wieder auf deine Gabe besinnen«, sagte sie eindringlich.
Marthe bekam ein schlechtes Gewissen. Mühevoll atmend sprach Josefa aus, was ihr selbst gerade durch den Kopf ging: »Du hast dich den ganzen Tag beschäftigt, dich mit Arbeit überladen, und es ist zweifellos ein gutes Werk, Menschen zu heilen. Aber du musst mehr davon deiner Nachfolgerin überlassen. Du brauchst jetzt alle Sinne und alle Kraft, um dich für das zu wappnen, was kommt … um rechtzeitig zu erkennen, was eure Gegner planen …«
Kraftlos sank Josefas Kopf auf die Brust. Sie rang nach
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