Die Spur der Hebamme
Christians Feinde nun nicht mehr so mit ihr umspringen konnten wie früher.
Dennoch hatte sie vor jeder Reise nach Meißen oder zu einem Hoftag den gleichen Alptraum: Sie ging durch ein Rudel reißender wilder Tiere, die sie nicht aus den Augen ließen. Und sie wusste, die Bestien würden sie sofort anspringen und in Stücke reißen, wenn sie auch nur ein Quentchen ihrer Angst zeigte.
Am nächsten Morgen brach Markgraf Dietrich mit seinem Gefolge auf, um zu seiner Burg Landsberg zurückzukehren.
Zuvor rief er seinen Sohn zu sich.
»Nutze die Zeit bei Ritter Christian«, ermahnte er Konrad.
»Du kannst viel von ihm lernen, nicht nur den Umgang mit Schwert und Lanze.«
»Ja, Vater«, antwortete Konrad, während er den Blick gesenkt hielt.
Der halbe Hofstaat war angetreten, um den Markgrafen der Ostmark zu verabschieden. Als er mit seinen Leuten durch das Tor geritten war, wandte sich Konrad beinahe zaghaft an seinen neuen Herrn. »Werdet Ihr mir jetzt vor all den anderen Knappen nachweisen, wie viel mir noch fehlt zu einem guten Ritter?«, fragte er entmutigt.
Da Christian und seine Begleiter an diesem Tag noch nicht abreisen würden, denn die Markgräfin hatte Marthe erneut zu sich befohlen, war es naheliegend, dass Konrad wie üblich an den Waffenübungen der Knappen teilnahm – und das unter Christians strenger Leitung, der sich jedes Mal gemeinsam mit Lukas um die Knappen kümmerte, wenn er auf dem Burgberg war.
Christian ahnte, wie sehr der Gedanke Dietrichs Sohn zusetzte, öffentlich bloßgestellt zu werden. Und er kannte Konrads Schwachstelle im Kampf: Er war ausgeprägter Linkshänder. Das konnte einen Vorteil gegenüber dem Kontrahenten bringen, aber nur, wenn er das Schwert mit der Rechten genauso gut führte. Dies zu lernen würde Konrads vordringliche Aufgabe in der nächsten Zeit sein.
Beruhigend legte er seinem neuen Schützling die Hand auf die Schulter. »Wir reiten aus. Sattle dein Pferd.«
Jetzt, da Konrad sein Knappe war, stand ihm die vertrauliche Anrede anstelle des höflichen »Ihr« zu.
Erleichtert atmete der Junge auf und lief zu den Stallungen.
Sie ritten gemeinsam ein ganzes Stück hinaus aus der Stadt, dann in scharfem Galopp über eine weite Ebene und einen Hügel hinauf. Konrad war ein vorzüglicher Reiter; so manche Lektion zu Pferde hatte er schon als Kind gemeinsam mit seinem Vetter Dietrich bei Christian absolviert.
Auf dem Hügel hielt Christian an und gab Konrad ein Zeichen, sein Pferd neben den Grauschimmel zu lenken. In weitem Bogen wies er über den glitzernden breiten Fluss, die Wälder, die Weinberge und Felder. »Es ist ein schönes Land, über das dein Oheim herrscht. Reich an Wild und fruchtbarem Boden.«
»Aber arm an Menschen«, meinte Konrad, der von dem raschen Ritt wie befreit wirkte.
»Die Menschen sind der wahre Reichtum eines Landes«, fuhr Christian fort. »Sie säen und ackern, sie bringen die Früchte ein, die Gott über und unter der Erde wachsen lässt.«
»Wie das Silber in Eurem Dorf«, meinte Konrad.
»Ja. Schon dein Großvater, dessen Namen du trägst, hat deshalb Siedler ins Land geholt; genau wie dein Vater und dein Onkel.«
Konrad klopfte seinem Pferd beruhigend auf den Hals. Doch Christian erkannte, das war nur eine Geste, um zu überspielen, dass er etwas auf dem Herzen hatte.
»Frag, was dir auf der Zunge liegt«, ermunterte er Dietrichs Sohn.
»Es ist etwas heikel«, gestand Konrad mit betretener Miene.
»Wir sind hier ohne Zeugen, und ich bin immer für ein offenes Wort zu haben.«
Konrad zögerte einen Augenblick, dann sagte er mit gesenkter Stimme: »Mir scheint es nicht immer gerecht, wie mein Onkel Euch behandelt. Manchmal denke ich, Ihr würdet lieber in die Dienste meines Vaters treten.«
»Wer hat je behauptet, dass es auf Erden gerecht zuginge?«, entgegnete Christian mit bitterer Ironie. Dann wechselte er den Ton und wurde ernst. »Nun, es ist zweifellos eine Ehre für jeden Mann, in die Dienste deines Vaters zu treten. Doch ich bin durch einen Eid an deinen Onkel gebunden.«
»Aber er setzt diesen Randolf über Euch, der sich so ehrlos gegen Euch benommen hat. Wie könnt Ihr das ertragen?«, fragte Konrad beinahe heftig.
Christian sah seinem Schützling direkt in die Augen. »Wenn ich Markgraf Otto bitten würde, mich aus seinen Diensten zu entlassen, um mich – beispielsweise – deinem Vater anzuschließen, blieben die Menschen in meinem Dorf Randolfs Willkür ausgeliefert. Du hast gehört, wie er dort vor
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