Die Spur der Hebamme
war in der oberen Wohnkammer eines Bergfrieds untergebracht. Markgraf Otto hatte Ekkehart mehrere Ortschaften in der Nähe von Christiansdorf überlassen, aber keine davon besaß einen Bergfried. Vielleicht war sie auf EkkehartsStammsitz. Sie wusste, dass er zu den vermögendsten unter den Meißner Rittern zählte und eigene Güter besaß, wie auch Randolf und seine anderen beiden Kumpane. Schon seit der Knappenzeit hatten sie sich deshalb zusammengefunden und verächtlich auf diejenigen herabgesehen, die nicht über rühmliche Ahnentafeln und eigene Lehen verfügten.
Der schmale Ausschnitt der Landschaft, den sie sehen konnte, verriet durch nichts, wo sie war. Aber viel Zeit musste vergangen sein, seit sie krank hier lag. Das Laub hatte sich schon bunt gefärbt, jeder Windstoß blies Blätter von den Ästen.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, stand sie auf, öffnete mit aller Kraft den schweren Deckel der Truhe, aus der Ekkehart das Kleid geholt hatte, und durchsuchte sie. Vielleicht würde sie hier etwas finden, das ihr als Waffe dienen konnte. Doch bevor sie sich durch die oberen Lagen Stoff gearbeitet hatte, hörte sie erneut schwere Schritte die Treppe heraufpoltern. Rasch schlug sie den Deckel der Truhe zu, setzte sich wieder auf die steinerne Fensterbank, legte die Hände in den Schoß und starrte zur Tür.
Zu ihrer Überraschung klopfte Ekkehart an, ehe er das Zimmer betrat – als ob es nicht seine Räume waren und sie nicht seine Gefangene.
Auf seinem strengen Gesicht zeigte sich fast so etwas wie ein Lächeln, als er mit großen Schritten auf sie zuging und nach ihrer Hand griff.
»Schön zu sehen, dass es dir bessergeht.«
Hastig entzog sie ihm ihre Hand und senkte den Blick.
»Ich muss Euch für meine Rettung danken«, sagte sie steif.
Er erwiderte nichts, aber sie spürte seine Blicke auf ihr Gesicht gerichtet.
»Warum habt Ihr das getan? Was habt Ihr mit mir vor?«, fragte sie schließlich in die Stille hinein.
»Ich habe doch schon gesagt, ich stehe in deiner Schuld.«
»Ihr habt mich dreimal vor dem Tod bewahrt. Als Ihr mich aus dem Wasser gezogen habt, als Ihr mich aus dem Kerker befreit habt und als Ihr die weise Frau geholt habt. Somit stehe ich in Eurer Schuld.«
Sie hob den Kopf und sah ihm direkt in die Augen. »Also, was verlangt Ihr?«
»Nichts.« Die Frage schien ihm Unbehagen zu bereiten.
»Dann kann ich jetzt gehen, nach Hause zu meinem Mann?«
Nach einem Moment quälender Stille sagte Ekkehart: »Ich fürchte, das wird nicht möglich sein.«
»Wollt Ihr Lösegeld für mich?«, fragte sie scharf. »Schickt einen Boten zu Christian. Ich bin sicher, Ihr werdet Euch schon mit ihm einigen.«
Ekkehart hob abwehrend die Hände. »Nein. Du verstehst nicht – du wirst immer noch als Hexe gesucht. Wenn jemand erfährt, dass du lebst und wo du bist, werden sie dich sofort holen und wieder einkerkern.«
Er sah sie eindringlich an, während er sprach. »Ich wollte dich nicht allein lassen, solange du im Fieber lagst. Jetzt kann ich nach Meißen reiten und mich umhören. Erst wenn sicher ist, dass du von jedem Verdacht freigesprochen bist, kannst du hier weg. In Christiansdorf werden sie zuerst nach dir suchen, aber bei mir wird dich niemand vermuten.«
Er lächelte kurz, ein ungewohnter Anblick. »Ich bin gespannt, wie sie inzwischen in Meißen dein Verschwinden erklären. Die Wachen werden nicht zugeben, dass sie von einer Hure abgelenkt waren. Und die Hure ist nicht mehr aufzufinden, der habe ich weit weg ein Auskommen verschafft.«
»Ihr habt meinetwegen ein großes Wagnis auf Euch genommen. Weshalb?«, wiederholte Marthe ihre Frage.
Ekkehart zögerte einen Moment mit der Antwort.
»Ich habe dir Unrecht zugefügt … und will es wiedergutmachen«, sagte er schließlich. »Kannst du dir vorstellen, mir zu vergeben?«
Sie konnte doch nicht wissen, wie sich das für einen Mann anfühlte. Damals, als sie wehrlos vor ihm auf dem Boden lag, als er mitansah, wie Randolf und seine Freunde sie nahmen. Es war wie ein Rausch für ihn gewesen, er musste sie auch haben. Anfangs war sie für ihn nur eine der zahllosen Mägde und Hörigen, die sich ihm hingeben mussten, mal mehr, mal weniger freiwillig. Doch auf der Reise zum Hoftag in Würzburg hatte er sie heimlich beobachtet. Als Randolf sie unter falschem Vorwand zu sich befohlen hatte, war er schon ganz besessen von ihr. Und später hatte er von fern gesehen, welche Innigkeit sie mit Christian verband. Er wünschte sich nichts
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