Die Spur der Hebamme
mehr, als dass sie ihn einmal so ansah wie Christian.
»Ich habe dich nie geschlagen wie die anderen«, sagte er, als sie immer noch schwieg. »Ich wollte, dass du dich mir aus freien Stücken hingibst.«
Marthe fuhr zurück. »Das habe ich nicht getan, und das werde ich nie tun«, brachte sie angewidert hervor. »Ihr habt mir Gewalt angetan – vor den Augen Eurer Freunde!«
Nur mit Mühe fand sie angesichts seines ungeheuerlichen Ansinnens ihre Beherrschung wieder. Sie musste sich überwinden, die nächsten Worte auszusprechen.
»Ich bin Euch zu Dank verpflichtet für meine Rettung. Wenn Ihr meint, Euch stünde das als Belohnung zu – nun, Ihr habt mich so oft mit roher Kraft gezwungen, Euch zu Willen zu sein … Ich kann Euch nicht daran hindern, es wieder zu tun.«
Sie strich sich müde über die Augen. »Lasst mich zu meinem Gemahl … oder lasst mich sterben.«
Mit versteinertem Gesicht drehte sich Ekkehart um und ginghinaus. Sie hörte, wie er draußen schroff den Befehl an den unbekannten Bewacher erneuerte, sie auf keinen Fall durch die Tür zu lassen. Wenig später sah sie ihn auf einem kostbaren Fuchshengst in wildem Galopp den Burghof verlassen. Was hat er vor?, dachte sie besorgt.
Das aufwühlende Gespräch hatte sie alle Kraft gekostet.
Sie wollte wieder ins Bett, doch Lärm auf dem Burghof hielt sie davon ab. Sie sah aus dem Fenster und erstarrte. Ekkehart konnte nicht weit gekommen sein, er kehrte bereits zurück. Und bei ihm waren ein Hüne mit weißblondem Haar, eine schwarzhaarige junge Frau, der feiste Giselbert und der eitle, rothaarige Elmar.
Ekkehart hatte die letzte Hütte am Dorfrand noch gar nicht erreicht, als ihm seine drei Waffengefährten entgegenritten und Randolfs Frau mit ihnen.
In Gedanken verwünschte er den Umstand, dass sie ihn ausgerechnet jetzt besuchen wollten. Andererseits konnte er Gott preisen, dass sie sich gerade noch begegnet waren. Nicht auszudenken, sie würden im Bergfried auf ihn warten und dort durch irgendeinen unglücklichen Zufall von Marthe erfahren und sie finden.
Vielleicht brachten die vier ja sogar Nachrichten, die seine Reise nach Meißen überflüssig machen würden.
Sorgfältig verbarg er seine Gedanken, was ihm nicht schwerfiel. »Seid willkommen! Ein guter Tag für ein paar Becher in eurer Gesellschaft.«
Seine Freunde antworteten ihm mit lautem Johlen.
Richenzas Lächeln aber jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Er verstand nicht, was den sonst so berechnenden Randolf an dieser Frau fesselte. Sie war eine Schönheit, zweifellos. Aber wäre er selbst mit ihr verheiratet, er würde ihr nie denRücken kehren und sich angewöhnen, mit einem Dolch unter dem Kissen zu schlafen, würde er dies nicht längst tun.
Wie hat sie es geschafft, dass Randolf ihr aus der Hand frisst, wo er doch sonst für seine Rücksichtslosigkeit gegenüber Frauen bekannt und gefürchtet ist?, grübelte Ekkehart. Ob sie irgendeinen Bann gesprochen hatte, um ihn an sich zu binden? Er hatte sich bisher immer für einen wirklich hartgesottenen Kerl gehalten, aber die Gegenwart dieser Frau ließ ihn jedes Mal frösteln.
Er wendete den Fuchs. Auch seine Begleiter gaben den Pferden die Sporen, mit der Aussicht auf heißen Würzwein und ein gutes Mahl. Es war kalt geworden. Der Winter würde wohl früh hereinbrechen dieses Jahr.
Hoffentlich verriet niemand vom Gesinde etwas durch eine unbedachte Bemerkung, dachte Ekkehart. Er hatte zwar streng befohlen, zu schweigen, und die Leute fürchteten ihn viel zu sehr, um gegen seine Anweisungen zu verstoßen, trotzdem war die Ankunft einer unbekannten jungen Frau, die er in seiner Kammer versteckte und bewachen ließ, etwas, das die Klatschsucht beflügeln musste. Seine nächste Sorge war, Marthe könnte in Angst und Schrecken geraten, wenn sie erfuhr, wer zu ihm kam. Aber sie war sicher noch zu schwach, um etwas so Törichtes wie einen Fluchtversuch zu unternehmen, der sie geradewegs in Randolfs Hände treiben würde.
Die Mischung von Stolz und Hoffnungslosigkeit in ihrem Gesicht bei dem Gespräch gerade eben hatte ihn tiefer aufgewühlt, als er noch vor ein paar Tagen zugegeben hätte.
Als sie sich dem Bergfried näherten, rannten die Stallknechte sofort herbei, um den Gästen die Pferde abzunehmen. Ekkehart half Richenza beim Absitzen und bot ihr seinen Arm, um sie in die Halle zu führen.
»Welche Neuigkeiten haben euch bei diesem Wetter aus demHaus getrieben?«, fragte er, als es sich alle bequem gemacht
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