Die Spur der Schuld - Private L.A.: Thriller (German Edition)
Kopf wie die Kaliber-.50-Geschosse. Ich hatte die Wahrheit unterdrückt, um mich zu schützen. Jetzt hatte ich kein Versteck mehr. Ich war nicht der, für den ich mich gehalten hatte.
»Es war ein Fehler«, sagte ich. »Ich bin hier fehl am Platz. Ich muss gehen.«
86
Ich erhob mich und ging zur Tür. Als ich meine Hand auf den Türknauf legte, rief Tommy: »Hey, Jack, egal, um was es geht, du solltest bleiben. Komm, übernimm du meine Sitzung. Ist das okay, D r. McGinty ?«
»Natürlich. Bitte, Jack. Setzen Sie sich.«
Ich wollte den Dämon nicht freilassen. Er war zu groß und noch zu brutal. Wie sollte ich einem Fremden erzählen, was ich all diese Jahre vor mir selbst geheim gehalten hatte? Wie konnte ich Tommy davon erzählen?
»Hier sind Sie sicher«, beruhigte mich McGinty.
McGinty hatte Unrecht. Hier war ich nicht sicher. Um meinen Schutzschild vor Tommy fallen zu lassen, bedurfte es mehr als nur Mut. Ich würde ein großes Risiko eingehen, bei dem meine Chancen schlecht standen und es im Falle eines Fehlschlags kein Zurück mehr geben würde. Dennoch baute sich der Druck zu einem galoppierenden Bedürfnis auf, zuzugeben, was ich getan hatte.
»Ich flog eine Transportmission von Gardez zur Basis in Kandahar«, würgte ich hervor. »Im Laderaum saßen vierzehn Marines. Man hört in einer CH -46 auf der Ladefläche hinter sich einen Schraubenzieher fallen, aber als sich dann die Rakete durch den Boden bohrte… dieses Geräusch… von dem Hubschrauber, der aufgerissen wurde…«
Ich stellte mir die toten Marines vor, die auf der linken Seite des Lagerraums auf einen Haufen gerutscht waren. Ich zwang mich weiterzuerzählen, beschrieb den Aufprall und das, was danach passiert war– dass ich mit meinem Nachtsichtgerät in den Laderaum mit den Toten und Verletzte n ge blickt hatte. Wo auch mein Freund in Blut getränkt lag.
»Wie ein Feuerwehrmann hatte ich Danny über meine Schultern gelegt, dann wachte Corporal Albert auf. Er bettelte, ich soll ihn nicht dort verbrennen lassen. Ich war aber schon dabei, Danny zu retten. Ich musste ihn in Sicherheit bringen. Albert war halb unter den anderen Opfern begraben. Seine Beine waren gebrochen. Ich brauchte Hilfe, um ihn herauszuholen. Ich versprach, zu ihm zurückzukommen.«
Die Worte nahmen mir die Luft zum Atmen.
»Alles in Ordnung, Jack?«
»Jeff Albert sagte, Danny Young sei bereits tot.«
»Glauben Sie, dass das so war? Woher hätte Albert das wissen sollen?«
»Ich weiß nicht. Es war Nacht… Danny sprach nicht… ich spürte keinen Puls, weil meine Hände… taub waren. Wir wurden vor jedem Flug angewiesen, in einem solchen Notfall jemanden mit rauszunehmen. Man nimmt zuerst die Überlebenden mit, die am schlimmsten verwundet sind. Tote müssen nicht gerettet werden– das versteht jeder. Wenn Danny tot war, habe ich einen toten Mann gerettet und einen lebenden verbrennen lassen. Aber ich wollte doch noch einmal zurückgehen.«
Es herrschte eine lange Pause. »Und warum sind Sie nicht zurückgegangen?«, fragte McGinty schließlich.
»Ich bin gestorben.«
87
Seit meinem vierten oder fünften Lebensjahr hatte ich nicht mehr geweint. Auch nicht andeutungsweise, als mein Vater gestorben war. Doch meine Trauer, weil ich Jeff Albert zurückgelassen hatte, schien in diesem Moment grenzenlos zu sein. Ich legte meinen Kopf auf die Arme und ließ den Schmerz einfach laufen.
Tommy erklärte seinem Psychologen, ich sei von einem Stück Metall, das durch die Explosion durch die Luft geflogen sei, getroffen worden, und mein Herz habe aufgehört zu schlagen. Durch Herz-Lungen-Wiederbelebung sei meine Pumpe wieder zum Laufen gebracht worden.
Während Tommy redete, sah ich Rick Del Rios Gesicht, als wäre er hier im Zimmer. Ich hörte ihn lachen, hörte ihn »Jack, du Hurensohn, da bist du ja wieder!« sagen. Ich hörte, wie der Hubschrauber explodierte, und spürte die sengende Hitze, die in Wellen übers Schlachtfeld waberte.
»Sie waren tot, Jack«, sagte McGinty. »Sagen Sie mir, wie Sie diesen Mann hätten retten sollen.«
Mein Mund bewegte sich, doch ich konnte nicht sprechen. Ich erhob mich, ebenso wie Tommy. Er umarmte mich zum ersten Mal, seit wir zehn gewesen waren. Ich weinte an seiner Schulter, und er tröstete mich.
Das war mein Bruder. Wir hatten, seit wir nach der Geburt aus dem Krankenhaus nach Hause gekommen waren, ein Zimmer geteilt. Ich kannte ihn so gut wie mich, wenn nicht gar besser. Das musste ich bis in alle Ewigkeit akzeptieren.
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