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Die Spur der verlorenen Kinder

Die Spur der verlorenen Kinder

Titel: Die Spur der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.J. MacGregor
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ihnen bestand darin, dass das schwarze Wasser auf Umweltverschmutzungseinflüsse zurückzuführen sei. Andere Theorien schrieben es einer Unterwasserexplosion von Algen oder Plankton zu, einem Ansteigen der Meerestemperatur oder des Salzgehalts oder dem nitrogenhaltigen Abwasser der Zuckerrohrfelder in Südflorida. Aber bislang hatte niemand genau herausfinden können, was es wirklich war oder wodurch es verursacht wurde.
    »Letzte Woche lag es achtzig Kilometer vor der Küste«, sagte Annie. »Heute Morgen habe ich in den Nachrichten gehört, dass sich der größte Teil nur ein paar Kilometer südlich von hier befindet.«
    Wenn Annie mit solcher Klarheit sprach, erinnerte sie Mira an ihren Vater, dieselbe Leidenschaft in ihren dunklen Augen, dieselben geweiteten Nasenflügel, das stolze Heben des Kinns. Sie war ein ungewöhnlich hübsches Mädchen – obwohl Annie selbst das natürlich nicht glaubte – mit der schönen Haut und den hohen Wangenknochen ihres kubanischen Vaters. Tom war an Annies drittem Geburtstag ermordet worden, und in Augenblicken wie diesem sehnte sich Mira schmerzhaft nach dem Leben, das Tom, Annie und sie niemals gemeinsam haben würden.
    Finde dich damit ab und mach weiter, dachte sie. Es ist zehn Jahre her.
    »Es gibt keine Berichte von toten Fischen in diesen Feldern«, sagte Mira. »Hey, geh mal auf die andere Seite des Bootes, dann kann ich noch ein Foto von dir machen, bevor wir fahren.«
    »Weißt du, es ist auch in Ordnung, wenn es schon dunkel ist, wenn wir nach Tango zurückfahren, Mom. Wir werden nicht gleich kentern und ertrinken.«
    »Das habe ich auch nicht gesagt.«
    »Aber gedacht.«
    Annie grinste frech und sprang über das kleine Boot. Sie drückte ihre rechte Hüfte heraus, legte eine Hand darauf und schob mit der anderen ihr langes dunkles Haar von den Schultern. Mira machte ein paar Fotos. Ihre Tochter machte immer Witze darüber, dass Miras Angst, sich im Dunkeln auf dem Wasser zu befinden, vermutlich auf ein anderes Leben zurückzuführen sei, in dem sie nachts ertrunken war. Mira lachte meist, wenn sie das sagte, vermutete aber insgeheim, dass Annie recht hatte. Eines der Probleme damit, eine übersinnlich begabte Tochter großzuziehen, bestand darin, dass Annies Fähigkeiten oft über ihre eigenen hinausgingen.
    Seit vielen Generationen waren stets die erstgeborenen Mädchen der Familie mit seherischen Fähigkeiten zur Welt gekommen. Mira benannte es selbst selten so, denn es klang so antiquiert. Aber es war die beste Möglichkeit, eine Intuition zu beschreiben, die, soweit sie zurückdenken konnte, ein Teil ihres Lebens gewesen war. Sie hatte den Tod ihres Mannes mehrere Jahre, bevor er eingetreten war, vorhergesehen. Das Hellsehen hatte den Mord an Tom nicht verhindern können, aber fünf Jahre danach hatte sie immerhin auf diese Weise Wayne Sheppard, damals Polizist in Fort Lauderdale, mit genug Hinweisen ausstatten können, um den Mörder zu finden. Diese Fähigkeit war ihr Lebenselixier, ihre Leidenschaft, ihr größter Fluch und ihr wundervollstes Geschenk. Es war ebenso wichtig für sie wie ihr eigen Fleisch und Blut. Aber oft, wenn sie ungebeten irgendwelche Eindrücke wahrnahm, wünschte sie, dass ihre innere Stimme einfach den Mund halten und sie in Ruhe lassen würde. Im Augenblick zum Beispiel.
    Seit einer geraumen Weile war sie sich eines wachsenden unangenehmen Gefühls knapp unterhalb ihres Brustbeins bewusst, einer intensiven Hitze, die sich ausbreitete wie geschmolzenes Wachs. Als sie sich auf das Gefühl konzentrierte, um es deutlicher wahrzunehmen, vergrößerte sich die Hitze, sie sah aber keine Bilder. Vielleicht war es bloß Sodbrennen von dem ganzen Junkfood, das Annie und sie am Strand gegessen hatten.
    »Okay, jetzt mache ich mal ein paar Bilder von dir, Mom.«
    Sie tauschten die Plätze, und während Annie überlegte, ob sie sich hinknien und das Foto im Hoch- oder im Querformat machen sollte, wählte Mira Sheps Handynummer. Sein Handy war immer an. Es war sein einziges Telefon.
    »Agent Sheppard.«
    »Hellseherin Morales.«
    Er lachte. »Seit ihr zwei auf dem Rückweg?«
    »Gleich. Wir machen nur noch ein paar Fotos. Wo bist du?«
    »Nadine und ich sitzen in der Küche und trinken Bier. Sie hat einen Shrimps-Auflauf im Ofen.«
    »Wir müssten in weniger als einer Stunde da sein.«
    »Hast du Lust, einen Film zu gucken?«
    »Aber ich will erst essen. Was schwebt dir so vor?«
    »Ein Video bei mir.«
    »Klingt gut.«
    Eine Nacht allein mit

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