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Die Spur der verlorenen Kinder

Die Spur der verlorenen Kinder

Titel: Die Spur der verlorenen Kinder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.J. MacGregor
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beiden Seiten, dann schob er das Boot zurück ins Wasser und stieg hinein.
    Er schaute auf den Kompass, ließ den Motor an und wandte sich nach Süden, weg von Little Horse Key und in Richtung des schwarzen Wassers, das auf ihn wartete.
    Vorne am Boot war ein Suchscheinwerfer angebracht, doch noch schaltete er ihn nicht ein. Stattdessen machte er die Postitionslampen an, kleine blaue Lichter am Rand des Bootes, und ließ seinen Kopf in den Nacken fallen und sah zu, wie die Sterne über ihnen erschienen. Der Mond würde erst in einer Stunde aufgehen, doch die Sterne sorgten für genug Helligkeit, um zu steuern.
    Hier draußen in der Stille wurden seine Sorgen größer. Hatte er etwas vergessen? Ein wichtiges Detail übersehen? Würde er den Korridor rechtzeitig erreichen? Selbst ein gut vorbereiteter Plan führte nicht zwangsläufig zum Erfolg.
    Als er im März gekommen war, hatte er sein Boot im Hafen von Tango festgemacht, war in den Ort spaziert und mit dem Taxi über die Brücke nach Key West gefahren. Dort ging er zur Post, wo er ein Postfach unter dem Namen Peter Wheat unterhielt. Im Postfach befanden sich sein erneuerter Führerschein und eine zweite Kreditkarte auf den Namen Peter Wheat, die er das letzte Mal beantragt hatte, als er hier gewesen war. Bewaffnet mit dem Führerschein und der Kreditkarte hatte er sich einen Wagen gemietet und Unterschlupf in einem heruntergekommenen Motel in Key West gesucht. Seit 1997 hatte er hier ein Girokonto auf Wheats Namen und immer, wenn er hier war, schrieb er ein paar Schecks, damit das Konto aktiv blieb. Doch am häufigsten benutzte er die Karte am Geldautomaten.
    In den letzten zehn Wochen war er jeden Morgen über die Brücke von Key West nach Tango gefahren, hatte seinen Mietwagen am Pier abgestellt, sein Fahrrad ausgeladen und Annie Morales hinterherspioniert. Das erste Mal hatte er sie im letzten Herbst gesehen, als er zum Einkaufen hier gewesen war und One World Books, den Buchladen ihrer Mutter, besuchte. Annie hatte Bücher eingeräumt, ein geschäftiges kleines Bienchen genau im richtigen Alter, am Beginn der Pubertät. Er wusste sofort, dass er sein nächstes Opfer gefunden hatte.
    In den letzten paar Monaten war Wheaton nur dreimal zurückgefahren, um zu Hause nach dem Rechten zu sehen. Diese Reisen und die vielen anderen durch den Korridor machten ihm körperlich zu schaffen, er konnte es spüren, doch er wusste nicht genau, wie viel Schaden diesmal angerichtet worden war. Gewebe? Zellen? Organe? Blut? Alle zusammen? Er wusste, dass diese Reisen seinem Körper oft Eisen und Kalzium abforderten, trotzdem glaubte er, dass die Müdigkeit, die er in letzter Zeit verspürte, neu war. Oder vielleicht wurde er auch bloß paranoider, nachdem er fünfzig geworden war.
    Jetzt aber dürfte er sich darum nicht sorgen. Das Mädchen rührte sich, erwachte. Er schaltete den Motor in den Leerlauf und richtete das Licht der Taschenlampe auf sie, damit er Annie besser sehen konnte. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie ihn verängstigt an. Mit der freien Hand riss sie sich den Knebel aus dem Mund. Jetzt schrie sie. Der Schrei hallte durch die Stille und wurde immer schriller, bis er zu einem hellen Kreischen geworden war. Er saß bloß da und sah sie an, wartete. Sie schrie immer noch und zappelte jetzt auch. Sie zerrte an der Handschelle, versuchte, ihre Beinfesseln zu lösen. Als ihr klar wurde, dass sie sich nicht befreien konnte und niemand in der Nähe war, der ihre Schreie hörte, hielt sie den Mund.
    »Fertig?«, fragte er. »Oder muss ich auch noch deine freie Hand festbinden und dich wieder knebeln?«
    »Ich werde nicht mehr schreien«, sagte sie eilig. »Hören Sie, wenn Sie Geld wollen, meine Mutter ist nicht reich oder so. Sie hat bloß einen Buchladen, und …«
    »Es geht nicht um Geld.«
    »Was dann?«, flüsterte sie.
    »Du wirst es mit der Zeit verstehen.«
    »Sie sind … Sie sind ein gottverdammter Perverser, das ist die einzige andere Erklärung.«
    Er hasste es, wie der Fluch so mühelos, so selbstverständlich, von ihrer Zunge perlte. Er würde sie dazu bringen müssen, die Regeln zu verstehen, und Regel Nummer eins war: Nicht fluchen.
    »Ich werde dir nicht wehtun. Es geht weder um Geld noch um Sex.«
    »Wenn Sie kein Sex-Perverser sind, was … was für ein Perverser sind Sie?«
    »Du verwendest dieses Wort sehr leichtfertig.«
    »Hören Sie, Sie … Sie können mich einfach auf Tango Key absetzen. Ich … ich schwöre, ich werde niemandem etwas

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