Die Spur des Verraeters
Kiyoshi.
Am Tag nach der Zerschlagung der Schmugglerbande hatte Sano den jungen Samurai persönlich aus dem Gefängnis von Nagasaki befreit und nach Hause gebracht. Damals, vor zwei Wochen, war der Junge geistig verwirrt gewesen, und körperlich am Ende; nun aber sah Sano mit Erleichterung, dass Kiyoshi allmählich wieder zu sich fand, auch wenn er noch immer blass und mager war.
»Wir möchten Euch unsere Achtung erweisen und Euch eine gute Reise wünschen«, sagte Kiyoshi ernst. Er, Junko und ihr Vater verbeugten sich.
Der höfliche Abschied machte Sanos Gewissensbisse, die ihn noch immer wegen Kommandant Ohira plagten, um so schlimmer. »Kiyoshi, was deinen Vater angeht«, sagte er, »… ich erwarte nicht, dass du mir vergibst, aber ich möchte mich aus tiefstem Herzen bei dir entschuldigen. Wenn ich irgendetwas tun kann …«
Die Augen des Jungen wurden dunkel vor Schmerz, nicht aber vor Zorn. »Mein Vater hat seinen Weg gewählt, lange bevor Ihr nach Nagasaki gekommen seid. Was er getan hat, war Unrecht.« Kiyoshi schluckte; dann hatte er sich wieder in der Gewalt. »Er hat die Ehre unserer Familie wiederhergestellt, indem er sich selbst gerichtet hat. Ihr tragt keine Schuld an seinem Tod.« Ein Lächeln legte sich auf das Gesicht des jungen Mannes. »Es gibt erfreuliche Neuigkeiten. Junko und ich werden heiraten. Unser beider Familien haben der Ehe zugestimmt.«
Das Mädchen strahlte. Urabe zuckte die Achseln und sagte mürrisch: »O ja, die Treue gegenüber den Eltern ist bei einem Schwiegersohn wichtiger als kaufmännische Begabung … nehme ich an. Und Kiyoshi hat gute Verbindungen.«
»Ja, das stimmt«, sagte Sano und ließ sich seine Abneigung nicht anmerken, als er an diese ›Verbindungen‹ dachte. »Meinen Glückwunsch.«
»Und Euch tausend Dank, dass Ihr unsere Heirat möglich gemacht habt.« Wieder verbeugte sich Kiyoshi.
Um den Ohiras ihren Verlust ein wenig wieder gutzumachen, hatte Sano auf eine Klage gegen Kiyoshi verzichtet, obwohl der Junge ja der Bogenschütze gewesen war, der ihn verletzt hatte; stattdessen hatte Sano ihm eine beträchtliche Summe Geldes zukommen lassen. Nun sah er zu seiner Freude, dass die Tragödie wenigstens ein Gutes gehabt hatte. Als Sano beobachtete, wie Junko, Kiyoshi und Urabe wieder in Richtung Stadt davongingen, verspürte er einen seltsamen inneren Frieden. Indem er das junge Paar zusammenführte, hatte er auf irgendeine Weise seine Liebe zu Aoi begraben, die ihm nichts als Kummer und ungestillte Sehnsucht gebracht und ihn dazu bewogen hatte, seine geplante Hochzeit immer wieder aufzuschieben. Nun aber war er frei; endlich konnte er Reiko heiraten.
Doch kaum ging Sano die Anlegestelle hinunter zur wartenden Fähre, drohte sein wiedergefundenes inneres Gleichgewicht ins Wanken zu geraten. Statthalter Nagai, flankiert von Soldaten und Beamten, blickte ihm lächelnd entgegen. »Ah, sôsakan-sama «, sagte er. »Wie bedauerlich, dass Ihr so rasch abreisen müsst. Es tut mir ehrlich Leid, dass Euer Aufenthalt in Nagasaki alles andere als angenehm für Euch war. Vielleicht besucht Ihr uns eines Tages noch einmal, unter erfreulicheren Umständen.«
Zorn loderte in Sano auf. Eine solche Heuchelei von einem Mann, der für all seine Schwierigkeiten verantwortlich war! Sano entblößte die Zähne bei einem Lächeln, das so falsch war wie das des Statthalters. »Der Abschied fällt mir sehr, sehr schwer«, sagte er und ahmte Nagais einschmeichelnden Tonfall nach. »Dass die Verwaltung dieser Stadt in Euren fähigen Händen bleibt, ist da nur ein kleiner Trost.«
Statthalter Nagai hatte aus dem Schmuggelgeschäft persönliches Kapital geschlagen und die Konsequenzen auf seine Lakaien abgewälzt. Da sämtliche Personen tot waren, die eine Beteiligung des Statthalters an den Schmuggeleien hätten bezeugen können, und es sonst keine Beweise gab, hatte Sano den obersten Richter Takeda nicht dazu bewegen können, gerichtliche Schritte gegen Nagai zu unternehmen. Die einzig mögliche Bedrohung für den Statthalter war Kiyoshi, der möglicherweise mehr über die Schmuggeleien wusste, als er seinem Vater erzählt hatte. Doch Nagai hatte den jungen Mann zum Schweigen gebracht, indem er ihn wieder zu seinem Günstling erhoben hatte. Angesichts dieser ›Verbindung‹ würden Kiyoshi und seine neuen angeheirateten Verwandten zu Wohlstand gelangen. Der bestechliche Statthalter war in Sicherheit.
»Nun ja.« Die Augen von Statthalter Nagai wurden schmal, als er den verbalen
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