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Die Spur des Verraeters

Die Spur des Verraeters

Titel: Die Spur des Verraeters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Laura Joh Rowland
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verschiedensten fremden Sprachen begleitet wurde. Weitere Truppen schwärmten auf dem langen weißen Strand aus und suchten auf den Anlegestellen und vor den Lagerhäusern. Vom Steuerborddeck beobachtete Sano das Geschehen.
    »Halt! Sonst lauft ihr auf Grund!«, rief der Offizier der Hafenpatrouille, als sie sich der Stadt bis zu einer bestimmten Stelle genähert hatten. Die Besatzung des Seglers warf Anker. Im Hafen legte eine Fähre ab, um die Passagiere und deren Gepäck zur Anlegestelle zu holen. Sano ging nach achtern, wo die Seeleute das Ruder aus dem Wasser hoben und es so in Richtung Ufer drehten, dass es als Laufsteg dienen konnte.
    Unvermittelt kam Sano ein Gedanke, der Erregung in ihm aufsteigen ließ. Er war nicht nur der sôsakan-sama des Shogun; er war überdies Inspektor des Kammerherrn Yanagisawa für die Stadt Nagasaki. War es da nicht seine Aufgabe, nach dem verschwundenen Holländer zu suchen, auch wenn kein dahingehender Befehl ergangen war? Als er über die Reling kletterte und das nasse, von Algen glitschige Ruder hinunterstieg, das als behelfsmäßiger Laufsteg diente, blickte er zur Mitte des Hafenbeckens. Und dort war sie – die kleine Insel, von der er auf vielen alten Schriftrollen gelesen und deren Geschichte er als Junge so eifrig studiert hatte.
    »Deshima«, sagte er zu Hirata, als sie in der Fähre Platz nahmen.
    Deshima – die winzige, fächerförmige bewachte Insel, deren kürzere Krümmung Nagasaki und der Küste zugewandt war. Auf Deshima lebten die Mitarbeiter der Handelsstation – oder Faktorei – der holländischen Ostindischen Kompanie wie Gefangene auf dem schwer bewachten Gelände. Aus den Wassern, die das felsige Fundament der Insel umspülten, ragten Pfähle, an denen Schilder befestigt waren; sie trugen die Aufschrift: AB HIER IST DIE WEITERFAHRT FÜR SCHIFFE ALLER ART STRENG VERBOTEN! Ein hoher Palisadenzaun umschloss das Gelände. Sano reckte den Hals, konnte hinter dem Zaun aber nur strohgedeckte Dächer und die Wipfel von Fichten ausmachen. Von den Barbaren, die seine jugendliche Fantasie so sehr erregt hatten, war keine Spur zu sehen, doch Sano verspürte das brennende Verlangen, endlich mehr über die Fremden und ihre ferne Heimat zu erfahren.
    Die Fähre wurde von den Wellen auf und ab geschaukelt, um dann mit einem letzten Schwung an den Strand getragen zu werden. Sano ging von Bord. Er sah soldatische Suchtrupps, die in Richtung der Stadt und ins Hügelland unterwegs waren. Offiziere brüllten Befehle. Einer gestikulierte heftig und beschimpfte eine Gruppe Samurai, die in demütiger Haltung vor ihm knieten.
    Hinter Sano ließ der Kapitän des Seglers ein hässliches Lachen vernehmen. »Das sind die Wachen von Deshima. Man sollte sie allesamt hinrichten, weil sie diesen Barbaren entkommen ließen!«
    Einer der Wachsoldaten, der einem solchen Schicksal offensichtlich entrinnen wollte, zog sein Schwert und stieß es sich mit einem markerschütternden Schrei in die Eingeweide. Hirata schnappte vor Entsetzen nach Luft, während Sano erschüttert den Blick abwandte.
    »Willkommen!« Ein schwarz gekleideter Beamter eilte durch die Menge auf Sano und Hirata zu, gefolgt von Dienern, bewaffneten Soldaten und Sänftenträgern. Der Mann verbeugte sich tief. »Ich bitte tausend Mal um Vergebung wegen der Ungelegenheiten, die Euch entstanden sind«, sagte er. »Aber nun bringen wir Euch zum Statthalter.«
     
    Durch das Fenster der Sänfte betrachtete Sano die vorüberziehenden Gebäude Nagasakis. Wie ein hoher Würdenträger, der die Stadt besucht, wurde er durch die Straßen und Gassen getragen; vor ihm machte eine Eskorte den Weg frei, während hinter ihm Hirata und der Kapitän in zwei weiteren Sänften folgten.
    Sanos Sänfte neigte sich leicht nach hinten, als die Träger sich die stark ansteigenden, dicht bevölkerten Straßen Nagasakis hinaufmühten. Im Viertel der Händler und Kaufleute standen die Läden und Wohnhäuser dicht an dicht an den gefährlich ansteigenden Hügelhängen. Neben den steilsten Straßen waren steinerne Treppen errichtet worden; eine Flut von Passanten eilte die Stufen hinauf und hinunter und stampfte durch den Schlamm, den die heftigen Regenfälle der vergangenen Nacht hinterlassen hatten. Kaufleute, Händler und Hausierer boten Reiswein, Lebensmittel und Haushaltswaren feil; Kinder drängten sich um einen Jongleur, und eine alte Frau las die Zukunft aus den Karten. Ein durchdringender Fischgeruch lag in der sonnendurchfluteten

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